Auf Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela
der
Iberischen Halbinsel abgeschlossen und durch die Heirat Isabellas von Kastilien
mit Ferdinand von Aragon seine staatliche Einheit gefunden hatte, trat es im
gleichen Jahre in den Entdeckungswettstreit mit Portugal: ...Christoph Kolumbus
(1451-1506) entdeckte, in spanischen Diensten stehend, Amerika.“ 67
Hat das noch etwas zu tun mit
unserem Santiago, mit unserer Pilgerfahrt? Nun, ob das „unser“ Santiago ist,
danach müssen wir noch fragen. Aber, daß die spanische Jakobusverehrung in
ihrer kämpferischen Version auch hier mitgespielt hat, das erkennt man deutlich
am Namen zweier mexikanischer Städte, darunter ein wichtiger Hafen im Golf von
Mexiko: Matamoros heißen sie! — In Amerika galt es keine „Moros“, keine Mauren,
keine Araber zu töten — und dennoch finden wir den „Maurentöter“ Jakobus in
Städtenamen? Friedrich Merzbacher nähert sich dem Problem von der
wirtschaftlich-soziologischen Seite: „Da Spanien... verhältnismäßig arm an
Reichtümern und Nahrungsmitteln war, andererseits jedoch ein überreiches
Angebot an Kriegern und Abenteurern aufwies, entstand hier jene Geisteshaltung,
die wesentlich die Eroberungen in der amerikanischen Welt trug.“ 68
Fragen wir weiter: Welche
Geisteshaltung meint Merzbacher? Was ist ihr Kern, ihr Wesen?
Hier verbinden sich — ähnlich
wie bei der deutschen Reichsidee — staatliche und kirchliche Vorstellungen und
Motive. Diese Verbindung läßt sich aus den Beziehungen der „katholischen Könige“,
des Königspaares Ferdinand von Aragón und Isabella von Kastilien, mit Papst
Alexander VI. ablesen. „Um portugiesischen Ansprüchen zu begegnen, erwirkte das
spanische Königspaar von Papst Alexander VT. die Anerkennung seiner
Besitzrechte auf die neuentdeckten Gebiete und die Festlegung einer
Demarkationslinie hundert Meilen westlich der Azoren und der Kapverdischen
Inseln. Alle entdeckten Gebiete jenseits dieser Linie sollten Spanien, die
diesseits gelegenen Portugal gehören.“ 69 Dieser 1493, also schon ein Jahr nach dem Fall
Granadas, durch päpstliche Bullen („Inter caetera“ und „Eximiae devotionis“)
getroffene Schiedsspruch wird ein Jahr später korrigiert. Im Vertrag von
Tordesillas wird die Demarkationslinie auf Betreiben Portugals 270 Meilen nach
Westen gerückt. Hierdurch fällt Brasilien an Portugal!
Die politische Bedeutung dieser
Verträge ist klar: es geht um politische Macht, staatlichen Einfluß. Aber wie
steht es um die religiöse Komponente? Es gibt sie, doch sie ist mit der Politik
eng verbunden. Der vorhin genannte doppelte Schiedsspruch Alexanders VI., die
Aufteilung der Welt durch die „donatio Alexandrina“, die „alexandrinische
Schenkung“, verleiht ein Doppeltes: missionarischen Auftrag und politische
Herrschaft. Etwa so: Bringe, König, der Kirche die Seelen, und herrsche du
alsdann über Land und Leute...
So leitet Spanien „aus dem
Missionsauftrag auch das Recht der Eroberung und der Landnahme ab. Die
Conquista wurde Kampf gegen das Heidentum, wie die Reconquista Kampf gegen den
Islam gewesen war — sie geschah im Namen des Glaubens.“ 70
Eine fatale Verquickung! Sie
führt zu Grausamkeiten, Ausrottungen und „christlichen“ Unterdrückungen, die
vielleicht die Grundlage dafür sind, daß es heute eine „Theologie der
Befreiung“ geben muß. —
Die Szene: 1515 kommt Bartolomé
de Las Casas aus der „Neuen Welt“, dem „neuen Indien“, nach Spanien zurück, um
vor Karl V. Beschwerde zu führen über die spanische Missionierung und
Unterdrückung in Südamerika, vor allem in Mexiko. Las Casas ist Priester, erst
Weltpriester, dann Dominikaner, selbst verstrickt in Geschäfte und
Sklavenhandel. Aber er wagt es als erster, die unheilvolle Verbindung von
Politik und Missionierung zu kritisieren. Sein Gegenspieler ist der
Rechtsgelehrte Ginés de Sepulveda.
Diese Szene gerät in Bewegung!
Reinhold Schneider berichtet:
„In den folgenden Tagen berieten die Brüder auf das eifrigste die bevorstehende
Disputation; sie galt zunächst allein dem Rechtsstreite, ob, wie Sepulveda
unter dem Beifall der Kolonisten, eines großen Teils der hohen Beamten und
selbst der Geistlichen lehrte, die Unterwerfung der Indios der Bekehrung
vorausgehen müsse oder ob, wie es die Überzeugung des Las Casas und seines
Ordens war, das Bekehrungswerk allein mit den Mitteln des Glaubens und
gewissermaßen unabhängig von der Rücksicht auf den Staat die eigentliche
Aufgabe der Spanier in den Neuen Indien sei.“
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