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Auf Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela

Auf Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela

Titel: Auf Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Malangré
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71 Hier liegt das Problem.
    Las Casas sagt — laut Reinhold
Schneider — vor Kaiser Karl V.:
    „Der Herr hat seine Apostel
ausgesandt, die Völker zu taufen; und die Apostel gehen noch über die Erde und
werden Arbeit haben, bis er sie abruft. Und unser ganzes spanisches Volk ist
vom Herrn mit diesem Apostelamt betraut worden... Gott hat es gewollt, daß wir
die Neue Welt entdecken und den Völkern... das Kreuz bringen... Wer aber von
einem Apostel des Herrn getauft wird, der wird aufgenommen in den Neuen Bund
und seiner Sünden ledig; der Irrtum, in dem er zuvor gelebt hat, kann ihm nicht
mehr zur Last fallen... Unser Herr hat die Welt völlig verwandelt, als er kam ; und er verwandelt einen jeden Menschen, zu dem er kommt. Taufen wir, so haben
wir kein Recht, die Abgötterei zu strafen; taufen wir nicht, so haben wir kein
Recht, nach den Indien zu fahren. Darum erachte ich die Kriege gegen die Indios
für unerlaubt.“ 72
    Der Disput endet mit den „Neuen
Gesetzen“ Karls V. (nach spanischer Zählung heißt er Carlos I.), die den Indios
größere Freiheiten geben sollen, und der Entsendung des Mönches Las Casas als
Bischof nach den „Neuen Indien“. Der Kaiser weiß: „Wollen und Vollbringen sind
weit getrennt.“ 73 —
    1516 steht Las Casas zum ersten
Mal vor dem Kaiser, die letzte Begegnung findet 1543 statt. 74 Hier müßte man die Berichte des Hernando
Cortes, des 1485 geborenen „Conquistador“ gegenlesen. Sie gehören zur
bedeutenden Literatur der Welt. — Aber das übersteigt die Intention dieses Buches.
Es soll nur angedeutet werden, wie unser heiliger Jakobus auch jenseits des
Atlantik gewirkt hat.
    Hierzu habe ich ein schönes
Erlebnis gehabt, einige Monate nach der Heimkehr aus Spanien. Wir feiern den
„Passionssonntag“ zwei Wochen vor Ostern. Wir werben in einem
Kindergottesdienst für die Missionen und Elendsgebiete in Südamerika, speziell
in Bolivien, und bitten um Gaben für das Hilfswerk „Misereor“. Ein Mitglied
unserer Gemeinde, eine Kennerin Boliviens, betet das „Vater unser“ in der
Sprache der Eingeborenen, in „Quechua“. Als ich den Worten lausche, fällt mir
mitten im fremden Klang ein vertrautes Wort ins Ohr: „perdona“. Wir unterhalten
uns nach dem Gottesdienst. Ich lese den Text des „Vater unser“ in Quechua. Da
heißt es bei der Zeile „Wie auch wir vergeben unsern Schuldigem“:
     
    „imaynatachus ñokaycupis
    juchallicuwajniycuta perdonapuyc
    ajinata...“
     
    Hatte das Quechua, die Sprache
der Eingeborenen, kein Wort für „Vergebung“? Wenn das so ist, dann kann
„Vergebung“ auch nicht zu den ursprünglichen geistigen Modellen der
Eingeborenen gehören. Sprache drückt aus, was ihren Erfindern wichtig ist. Sie
hat keine Worte für das, was geistig nicht interessiert.
    Wenn das so wäre — wäre es
nicht ein historisches Paradoxon, daß gerade die spanischen Eroberer und
Unterdrücker, die Bannerträger des „Matamoros“ und unseres Jakobus, den Indios
die christliche Tugend der „Vergebung“ gebracht haben? Lassen wir diese Frage
mit der Aufforderung zu weiterer Aufklärung und Untersuchung stehen. War hier
christliche Mission die Öffnung der heidnischen „Gesellschaft gnadenloser
Härte“ in eine „Gesellschaft des Verzeihens, der Brüderlichkeit“? Wenn ja,
warum mußte die Bekehrung zum Verzeihen mit so furchtbarer Unterdrückung der
eingeborenen Kulturen und Menschen vor sich gehen?
    In dieser Fragestellung wird
deutlich, warum der Santiago ein doppeltes Erscheinungsbild haben muß. Die Ambivalenz des Jakobusbildes, die Gleichzeitigkeit und Austauschbarkeit des
friedlichen Pilgers im langen Habit mit Stab und Tasche und des kriegerischen
Kampfherren auf dem Streitroß mit gezogenem Schwert, ist historisch notwendig.
Reconquista in Spanien, Conquista in Südamerika sind nur möglich, wenn Macht
und Gnade miteinander ringen.
    Das Ringen der Gnade mit der
Macht ist zu allen Zeiten ein christliches Grundproblem. Wir sind ihm in
unseren historischen Exkursen um Jakobus immer wieder begegnet: in der
christlich-islamischen Auseinandersetzung, die sowohl Begegnung und
Bruderschaft als auch jahrhundertelanger Krieg ist; in dem Machtvergleich zwischen
dem Papst und dem deutschen Kaiser, bei dem Jakobus zur Legitimation der
Heiligmäßigkeit des großen Karl dient und zum kaiserlichen Übergewicht
beitragen soll; bei der kriegerischen Missionierung Südamerikas, vor allem
Mexikos und Perus, durch die Spanier. Las Casas vor Karl V.: „Deus

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