Auf Treu und Glauben: Commissario Brunettis neunzehnter Fall (German Edition)
die alte Frau nach rechts, dann nach links auf den campo, den sie diagonal überquerte, um hinten rechts in einer kleinen Gasse zu verschwinden, die zur Frari-Kirche zurückführte. Ihre Verfolger trennten sich stillschweigend; Brunetti nahm die calle weiter rechts, um sicherzugehen, dass sie die Frau in dem Gassengewirr nicht aus den Augen verlören.
Als Brunetti in die Calle Passion einbiegen wollte, sah er die alte Frau plötzlich vor sich; sie stand vor einer Haustür auf der rechten Seite und drückte die Klingel. Er ging geradeaus am Eingang der calle vorbei, blieb stehen, machte kehrt und sah eben noch einen Fuß in der Tür verschwinden. Er schlenderte an der Tür vorbei und prägte sich die Hausnummer ein.
Als er auf den Campo dei Frari hinauskam, bog das Pärchen gerade in die calle ein.
»Nummer zweitausendneunhundertneunundachtzig«, sagte Brunetti beiläufig. Die Kollegin sah ihn an, als sei er einer dieser Internetzauberer, deren Seiten er studiert hatte; Pucetti meinte lächelnd: »Davon werde ich noch meinen Enkeln erzählen, Signore.«
Brunetti war sich unschlüssig, ob seine Leistung durch diese Bemerkung auf- oder abgewertet werden sollte, und meinte nur wegwerfend: »Ich war eben zufällig am richtigen Ort.« Pucetti nickte, während die junge Frau ihn immer noch bewundernd ansah.
»Was jetzt, Signore?«
»Sie beide gehen auf dem campo etwas trinken, und ich sehe mich bei dem Makler am Campo San Tomà nach einer neuen Wohnung um.«
»Heißer Job, Commissario«, sagte das Mädchen teilnahmsvoll.
Brunetti dankte nickend für ihr Mitgefühl.
Zum Glück hatte er daran gedacht, sein telefonino mitzunehmen, und so verabredeten sie, in Kontakt zu bleiben. Er ging zum campo zurück und stellte sich vor das Schaufenster des Maklerbüros. Zu dieser Nachmittagsstunde stand die Sonne direkt hinter ihm und brannte sich jetzt langsam durch seine Kleidung. Die Hitze war so intensiv, dass er sich fühlte wie der heilige Laurentius auf dem Grill, sich seitlich stellte und erst die eine, dann die andere Schulter braten ließ.
Der einzige Vorteil seines Postens bestand darin, dass der Einfallswinkel des Lichts das Schaufenster zu einem riesigen Spiegel machte, in dem er wenig später eine alte Frau mit einer braunen Tasche über der Schulter herannahen sah. Jetzt aber hielt sie nicht mehr krampfhaft die Riemen umklammert, und die Tasche baumelte unbeachtet an ihrer Seite. Sie kam auf Brunetti zu, der das Foto einer Mansardenwohnung in Santa Croce betrachtete, sechzig Quadratmeter, die für eine läppische halbe Million Euro zu haben waren. »Der helle Wahn«, flüsterte er.
Die Frau hielt sich rechts und bog dann links in die calle, die zum embarcadero führte. Brunetti wählte Pucettis Nummer und sagte, als der sich meldete: »Sie geht zur Bootshaltestelle zurück. Wie wär’s, wenn Sie und Ihre Freundin sich vor Nummer zweitausendneunhundertneunundachtzig einmal ausführlich in die Arme nehmen würden?«
»Ich werde ihr diesen Vorschlag augenblicklich unterbreiten, Signore«, sagte Pucetti und legte auf. Brunetti verließ das Schaufenster und ging die calle hinunter, die zum Goldoni-Haus führte, wo er wenigstens im Schatten warten konnte. Minuten später erschienen Pucetti und die junge Frau, aber nicht mehr Hand in Hand.
»S. Gorini, Signore«, sagte Pucetti. »Zu der Hausnummer gehört nur dieser eine Name.«
»Dann gehen wir in die Questura zurück?«, schlug Brunetti vor.
»Wir sind noch auf Streife, Signore«, sagte Pucetti.
»Ich finde, wir sind jetzt lange genug bei dieser Hitze irgendwelchen Leuten nachgelaufen«, sagte Brunetti. Die beiden nahmen das Gegenteil von Haltung an. Zum ersten Mal lächelte Brunetti das Mädchen an. »Dann wollen wir mal sehen, ob Sie einem commissario di polizia unbemerkt zur Questura folgen können.«
8
Die junge Kollegin hieß Bettina Trevisoi. Der Respekt, den sie seinen Fähigkeiten entgegenbrachte, mochte Brunetti beflügelt haben, jedenfalls versuchte er zunächst einmal allein, etwas über S. Gorini herauszufinden. Als Erstes sah er im Telefonbuch nach und stellte fest, dass das S für Stefano stand. Doch selbst der vollständige Name führte bei Google auf Umwegen zu jeder Menge junger Mädchen, die ihre Dienste anboten. Brunetti, der selbst eines zu Hause hatte, verspürte keinerlei Bedürfnis nach einem zweiten und widerstand diesen Cyber-Verlockungen, so verführerisch sie auf andere auch wirken mochten.
Wo konnte man sonst noch etwas über
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