Auf Treu und Glauben: Commissario Brunettis neunzehnter Fall (German Edition)
den Computer. Das arbeiten wir dann durch und machen die Prüfungen. Die schicken einem alles per E-Mail – Aufgaben und Prüfungen und Lehrmaterial –, man schickt ihnen die Antworten zurück und bekommt dann Noten und Kommentare.«
»Verstehe«, sagte Brunetti und nahm einen Schluck Wasser. »Ganz schön ausgeklügelt.«
Riverre lächelte geschmeichelt. »Die Sache ist nur, Signore, zurzeit können wir uns das nicht leisten, wo der Urlaub vor der Tür steht. Nächste Woche geht’s nach Elba. Wir zelten, aber für drei Personen ist es trotzdem nicht billig.«
»Ach«, sagte Brunetti freundlich interessiert, »was kostet denn dieser Kurs?«
»Dreihundert Euro«, antwortete Riverre und sah Brunetti erwartungsvoll an. Als sein Vorgesetzter die Augenbrauen hochzog, ergänzte er: »Da sind alle Prüfungen und die Benotung mit drin, müssen Sie wissen.«
»Hm«, machte Brunetti und nickte; dann nahm er das andere Sandwich aus der Tüte. »Nicht ganz billig, wie?«
»Stimmt«, sagte Riverre und schüttelte traurig den Kopf. »Aber es geht um unseren Jungen, wir wollen nur das Beste für ihn. Das ist doch irgendwie natürlich, meinen Sie nicht?«
»Aber ja, das denke ich schon«, sagte Brunetti und nahm einen Bissen. »Schließlich ist er ein guter Junge.«
Riverre lächelte, legte nachdenklich die Stirn in Falten, lächelte wieder. »Ja, das sehe ich auch so, Signore. In der Schule kommt er gut voran. Da gibt es keine Probleme.«
»Dann könnten Sie mit diesem Kurs vielleicht noch etwas warten.« Brunetti war mit dem zweiten Sandwich fertig, bedauerte, dass er sich nur zwei hatte mitbringen lassen, und trank die Flasche aus.
»Wo kommt die Flasche hin?«, fragte er und sah sich um.
»Neben der Tür, Signore. Der blaue Eimer.«
Brunetti ging zu den Plastikeimern und warf die Flasche in den blauen, die Tüte und die Servietten in den gelben. »Wie ich sehe, ist Signorina Elettra auch hier tätig geworden«, sagte er.
Riverre lachte. »Als sie damit anfing, dachte ich zuerst, sie würde das mit Gewalt durchsetzen müssen, aber inzwischen haben wir uns daran gewöhnt.« Und als verkünde er eine Wahrheit, über die er lange nachgedacht hatte, fügte er hinzu: »Eigentlich eine Schande, dass sie hier nicht das Sagen hat, oder, Signore?«
»Sie meinen, in der Questura?«, fragte Brunetti. »Unser aller Vorgesetzte?«
»Ja, Signore. Wollen Sie behaupten, Sie hätten das noch nie gedacht?«
Brunetti öffnete die zweite Wasserflasche und trank in großen Schlucken. »Meine Tochter hat eine iranische Klassenkameradin: ein reizendes Mädchen«, sagte er. Riverre, der eine Antwort auf seine Frage erwartet haben mochte, sah ihn verwirrt an.
»Wenn sie ihre besondere Zufriedenheit mit etwas ausdrücken will, sagt sie immer: ›Mehr als, mehr als, allzu sehr.‹« Er nahm noch einen Schluck.
»Ich glaube, ich kann Ihnen nicht folgen, Signore.« Riverre war immer noch ratlos.
»Das scheint mir die einzig mögliche Antwort darauf zu sein, ob es eine Schande ist: ›Mehr als, mehr als, allzu sehr.‹« Er schraubte die Flasche zu, dankte Riverre fürs Mitbringen und ging nach oben, um Signorina Elettra zu bitten, den Einsatzplan zu ändern.
7
In den nächsten Tagen schien es, als habe eine kosmische Regierung Brunettis Wunsch erhört und mit den Mächten der Finsternis ein Stillhalteabkommen geschlossen, denn das Verbrechen nahm eine Auszeit in Venedig. Die Rumänen, die auf den Brücken Kümmelblättchen spielten, waren entweder in die Ferien nach Hause gefahren oder hatten ihre Aktivitäten an die Strände verlagert. Die Zahl der Einbrüche ging zurück. Die Bettler reagierten auf eine amtliche Verordnung, die sie unter Androhung empfindlicher Strafen aus der Stadt verbannte, und verschwanden für mindestens ein oder zwei Tage, bevor sie wieder zur Arbeit erschienen. Die Taschendiebe blieben selbstverständlich auf dem Posten: Sie konnten nur in den schwachen Monaten November und Februar Urlaub machen. Dass Hitze die Menschen zu Gewalttaten trieb, konnte man in diesem Jahr nicht behaupten. Vielleicht war es ja auch ab einer bestimmten Temperatur und Luftfeuchtigkeit einfach zu anstrengend, andere zu erwürgen oder zu verstümmeln.
Woran auch immer es liegen mochte, Brunetti war froh über die Flaute. Er nutzte einen Teil seiner freien Zeit, um sich weitere Internetangebote spiritueller oder astraler Hilfe anzusehen. Dank seiner Vertrautheit mit den griechischen und römischen Historikern nahm er das
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