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Auf Treu und Glauben: Commissario Brunettis neunzehnter Fall (German Edition)

Auf Treu und Glauben: Commissario Brunettis neunzehnter Fall (German Edition)

Titel: Auf Treu und Glauben: Commissario Brunettis neunzehnter Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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hören?« Sie war jetzt in einen Ton verfallen, der Brunetti und wohl auch den beiden anderen vertraut war: So sprachen Zeugen, die finden, dass man ihnen ungebührlich zusetzt. Und dann fehlt nicht mehr viel, und sie reagieren verärgert und weigern sich hartnäckig, weitere Fragen zu beantworten.
    Brunetti wandte sich an Griffoni und sagte betont vorwurfsvoll: »Ich denke, die Signora hat jetzt mehr als genug von Ihren Fragen beantwortet, Commissario. Sie sehen doch, wie sie leidet, wir sollten sie nicht weiter belästigen.«
    Griffoni, nicht auf den Kopf gefallen, senkte den Blick und flüsterte eine Entschuldigung.
    Bevor Signora Fontana etwas dazu sagen konnte, sprach Brunetti sie direkt an: »Falls Sie jemanden aus Ihrer Familie bei sich haben möchten, Signora, sagen Sie es uns bitte. Wir werden unser Möglichstes tun, sie zu benachrichtigen.«
    Die alte Frau schüttelte den Kopf, und wieder bewegten sich ihre Locken nicht. Mit äußerster Mühe brachte sie hervor: »Niemand. Nein. Ich glaube, ich möchte jetzt nur allein sein.«
    Brunetti stand abrupt auf, Vianello und Griffoni taten es ihm nach. »Falls wir Ihnen in irgendeiner Weise behilflich sein können, Signora, brauchen Sie nur in der Questura anzurufen. Und wenn ich das sagen darf: Ich bete mit Ihnen, dass il Signore Ihnen in dieser schweren Stunde beistehen möge.«
    Er geleitete die anderen beiden – die so klug waren, gar nichts zu sagen – aus dem Zimmer und auf den Flur.

16
     
    »Das war knapp«, sagte Vianello auf der Treppe. Brunetti war froh, dass der Ispettore diese Bemerkung machte; aus seinem eigenen Mund hätte sich das womöglich so angehört, als habe er Griffoni im Ernst getadelt.
    »Raffiniert, wie schuldbewusst Sie dreingeschaut haben, Claudia«, fügte Vianello hinzu.
    »Das ist eine Überlebenstaktik, die ich bei der Arbeit entwickelt habe«, sagte sie.
    Als sie auf den Hof gelangten, hob das Licht Brunettis Stimmung, auch wenn die Nachmittagshitze sich noch nicht gelegt hatte. »Was schließen Sie aus den Antworten dieser Frau?«, fragte er Griffoni.
    Sie dachte ein wenig nach. »Ich denke, ihre Trauer ist echt. Ich denke aber auch, dass sie über seinen Tod mehr weiß, als sie uns sagen will.«
    »Oder als sie sich selbst eingestehen will«, ergänzte Vianello.
    »Wie meinst du das?«, fragte Brunetti. Immerhin hatte der Ispettore schon eine Zeitlang allein mit der Frau gesprochen, bevor sie dazugekommen waren.
    »Für mich steht fest, dass sie ihn geliebt hat«, sagte Vianello. »Gleichzeitig habe ich den Eindruck, sie verschweigt uns etwas und hat deswegen Schuldgefühle.«
    »Aber nicht genug, um sich uns anzuvertrauen?«, fragte Brunetti.
    »Ja«, sagte Vianello spontan. »Ich habe sogar das Gefühl, sie verschweigt uns etwas Wichtiges.« Er dachte kurz darüber nach. »Ich habe sie reden lassen, habe sie gefragt, was für ein Junge er war, wie er in der Schule war und so weiter. Eben die Dinge, die Mütter gern von ihren Kindern erzählen.«
    Brunetti, der das selbst auch schon oft genug getan hatte, war der Ansicht, das gelte für alle Eltern, nicht nur für Mütter, sagte aber nichts.
    »Aber wenn ich sie zwischendurch mal nach den letzten Jahren gefragt habe und wie es ihm bei der Arbeit ergangen ist, hat sie das Gespräch immer auf die Vergangenheit zurückgelenkt und davon erzählt, wie er als kleiner Junge und als Schüler war.«
    »Von gestern Abend wollte sie jedenfalls nichts erzählen«, sagte Griffoni.
    Vianello zog einen weißen Umschlag aus seiner Hemdtasche und machte ihn auf. Er nahm ein kleines Foto heraus, ein Porträt, wie man es für einen Reisepass oder eine carta d’identità verwenden würde, und hielt es ihnen hin. Es zeigte einen gesetzten Herrn mittleren Alters. Schütteres Haar, Altersflecken auf der linken Wange – ein unscheinbares Gesicht, das man jederzeit mit einem eintönigen Beamtendasein verband. Die Züge waren so ausdruckslos, als habe er so lange posieren müssen, dass er darüber das Lächeln vergessen hatte.
    »Was für ein trauriger Mensch«, sagte Griffoni mit echtem Mitgefühl. »So traurig zu sein, und dann auf diese Weise zu sterben. Gott, das ist unerträglich!«, entfuhr es ihr.
    »Wir wissen nicht, ob er wirklich traurig war«, wandte Brunetti ein.
    Sie wies mit dem Finger auf Fontana. »Sehen Sie ihn sich doch an. Diese Augen. Zweiundfünfzig Jahre lang hat er bei dieser Frau gelebt.« Ihre Schultern durchfuhr etwas zwischen Achselzucken und Schaudern. »Der

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