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Auf Treu und Glauben: Commissario Brunettis neunzehnter Fall (German Edition)

Auf Treu und Glauben: Commissario Brunettis neunzehnter Fall (German Edition)

Titel: Auf Treu und Glauben: Commissario Brunettis neunzehnter Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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wollte sie nicht durchlassen und steigerte ihr Unbehagen. Die Feuchtigkeit griff mit kalten Fingern nach ihnen.
    Sie hielten vor einer Tür, die nur angelehnt war, und Brunetti wollte schon Vianellos Namen rufen, als ihm bewusst wurde, dass der einzige Sohn der Witwe gerade ermordet worden war. »Rufen Sie ihn«, bat er Griffoni leise.
    »Ispettore Vianello?«, sagte Griffoni in den Spalt zwischen Tür und Pfosten.
    Ihrer Stimme antwortete das Scharren eines Stuhls, und dann erschien Vianello an der Tür und zog sie auf. Wie Brunetti trug er Urlaubskleidung: Jeans und ein Hemd mit kurzen Ärmeln. Was seiner Garderobe an Ernsthaftigkeit mangelte, wurde mehr als wettgemacht durch seinen Gesichtsausdruck und die Stimme, mit der er sagte: »Commissario Griffoni. Commissario Brunetti. Ich möchte Ihnen Signora Fontana vorstellen, die Mutter des Opfers.« Bei dem letzten Wort war die Stimme des Inspektors voller Mitgefühl.
    Er gab ihnen den Weg frei und wandte sich zwei Stühlen zu, die mitten im Zimmer standen, beide mit dem Rücken zu einer Reihe von Fenstern, die mit kastanienbraunen Samtvorhängen verdunkelt waren.
    Brunetti hatte aus der Wohnung auf die Bewohnerin geschlossen und sich eine Frau von einiger Strenge vorgestellt: graue Haare, straff zu einem kleinen Knoten am Hinterkopf gebunden; dünne Waden unter einem langen dunklen Rock. Stattdessen war die Frau dort in der Mitte des Zimmers dick und so klein, dass ihr Kopf, obwohl ihre Füße auf einem mit Samt bezogenen Bänkchen standen, nicht über die Rückenlehne ragte. Ihr Haar war kurz und lockig und in dem Kupferrot gefärbt, das Frauen ihres Alters bevorzugten. Schminke hatte sie nicht nötig: Ihre Wangen waren von gesunder Röte, die Haut glatt und weich wie die einer viel Jüngeren. Als Brunetti nahe genug herangekommen war, dass er ihre Augen sehen konnte, schienen die einer ganz anderen Frau, in ein anderes Gesicht zu gehören. Tief eingesunken, verkniffen betrachteten sie die Welt – und Brunetti – mit einer Strenge, die sonst nirgends an ihrem Körper zu bemerken war.
    Er blieb hinter Griffoni, die sich über die Frau beugte und sagte: »Signora, ich möchte Ihnen mein Beileid zu diesem schrecklichen Verlust aussprechen.« Die Frau reichte Griffoni die Hand, blieb aber stumm.
    Nun bückte sich auch Brunetti und sagte: »Auch ich möchte Ihnen mein Mitgefühl aussprechen, Signora.« Die Hand, die sie ihm gab, war weich wie die eines Babys, die Haut glatt und ohne Altersflecken. Sie erwiderte seinen Händedruck nicht, ließ ihre Hand aber ein paar Sekunden in seiner ruhen, bevor sie sie zurückzog.
    Sie sah Vianello an und fragte leise: »Sind das die Kollegen, von denen Sie mir erzählt haben, Ispettore?«
    »Ja, Signora. Commissario Brunetti und ich arbeiten seit Jahren zusammen, und Commissario Griffoni ist uns dank ihrer hervorragenden Arbeit in einer anderen Questura zugeteilt worden.« Das war nicht ganz die Wahrheit, sondern etwas frisiert. Claudia Griffoni war, wie Brunetti erst jüngst erfahren hatte, nachdem sie schon fast ein Jahr in der Questura war, zu ihnen überstellt worden, weil sie allzu eifrige Nachforschungen über die geschäftlichen Aktivitäten eines Politikers jener Partei angestellt hatte, die zurzeit im Parlament die Mehrheit besaß. Ihr Questore hatte sie gewarnt, ebenso zwei Richter, die an den Ermittlungen beteiligt gewesen waren. Man hatte ihr geraten, nicht so forsch vorzugehen und sich vor der Presse in Acht zu nehmen. Doch die konnte natürlich nicht auf eine Story verzichten, in der die Hauptrollen von einem verurteilten Kriminellen und einer höchst attraktiven Polizistin gespielt wurden, die zufällig auch noch blond war und deren Vater zwei Jahrzehnte zuvor Ziel eines Attentats der Mafia gewesen und schwer verletzt worden war.
    Kaum aber ward publik, dass gegen den Politiker eine polizeiliche Ermittlung lief, wurde Griffoni nach Venedig versetzt, eine Stadt, die nicht gerade dafür bekannt war, dass sie sich aktiv in die Machenschaften der politischen Klasse oder der Mafia einmischte.
    Brunetti wurde aus seinen Gedanken gerissen, als Signora Fontana zu Vianello sagte: »Ispettore, könnten Sie vielleicht Stühle für Ihre Kollegen holen?«
    Als die vier einander gegenübersaßen, sagte Brunetti: »Signora, ich weiß, das wird eine sehr schwere Zeit für Sie werden. Sie haben nicht nur einen unerträglichen Verlust erlitten, sondern werden jetzt auch noch die Zudringlichkeit der Presse und der Öffentlichkeit zu

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