Auf Treu und Glauben: Commissario Brunettis neunzehnter Fall (German Edition)
hat er den Staat betrogen, aber jetzt scheint er erkannt zu haben, dass es leichter ist, Treu und Glauben seiner Mitmenschen zu verletzen. Der Staat kann sich schützen, hat aber wenig Zeit, seine Bürger zu schützen.« Hier wollte er eigentlich aufhören, fügte dann aber doch hinzu: »Und wenig Interesse.«
»Und das von einem Staatsdiener«, sagte sie.
Wäre er nicht so müde gewesen, hätte Brunetti gern noch eine Weile mit ihr über dieses Thema geplaudert, wie sie es schon unzählige Male getan hatten. Paolas sarkastische Sicht der Dinge musste sie von ihrem Vater haben. Von ihrer Mutter hingegen hatte sie jenen Sinn für Ironie, der den Sarkasmus etwas abmilderte.
Brunetti stemmte sich gerade aus seinem Sessel hoch, als die Contessa zu seiner Verblüffung sagte: »Also gut.«
»Verzeihung?«
»Also gut. Ich mach’s. Ich spreche mit diesem Mann und finde heraus, was er im Schilde führt. Aber du musst dir einen Vorwand für meinen Besuch bei ihm ausdenken. Ich kann doch nicht einfach von draußen reinkommen und behaupten, ich hätte seinen Namen an der Klingel gesehen, und da hätte ich mir gedacht, dass er vielleicht eine astrologische Lösung für alle meine Probleme haben könne, oder?«
»Wohl kaum«, stimmte Brunetti zu und ließ sich wieder in den Sessel sinken. »Ich werde Signorina Elettra nachsehen lassen, ob er irgendwo für sich Reklame macht oder wo interessierte Leute mehr über ihn in Erfahrung bringen können.«
»Im Computer?« Sie konnte ihre Bestürzung nicht verbergen.
»Das ist die neue Zeit, Donatella.«
Als er nach Hause kam, stieß er als Erstes alle Fenster auf und trat dann in der Hoffnung, die stickig heiße Luft werde ihm folgen, auf die Terrasse hinaus. Dass sein Wunsch in Erfüllung ging, merkte er, als etwas sein Bein streifte: der Vorhang, der mit der entweichenden Luft nach draußen wehte. Nach etwa zehn Minuten ging Brunetti in eine kühlere Wohnung zurück.
In der Annahme, sie wären zwei Wochen nicht da, hatte Paola den Kühlschrank ausgeräumt. Er fand ein paar Zwiebeln im untersten Fach. Zwei Becher Naturjoghurt. Ein Stück vakuumverpackten Parmesan. In einem Schrank entdeckte er ein kleines Glas Pesto, ein Sechserpack Dosentomaten und ein Glas schwarze Oliven.
Er rief Paola auf ihrem telefonino an. Ohne eine Begrüßung meinte sie: »Die Zwiebeln anbraten, Tomaten und Oliven dazugeben. Die sind ohne Kerne. Denk daran, den Parmigiano nachher in eine neue Plastiktüte zu tun, nimm eine von den verschließbaren.«
»Du fehlst mir auch sehr«, sagte Brunetti.
»Werd bloß nicht frech, Guido Brunetti, sonst erzähle ich dir, dass wir 14 Grad haben und ich im Haus einen Pullover trage.« Bevor er etwas zu seiner Verteidigung sagen konnte, fügte sie hinzu: »Und wir haben Feuer im Kamin gemacht.«
»Ich kenne eine Menge gute Scheidungsanwälte, nur dass du’s weißt.«
»Und wir haben heute Nachmittag einen Spaziergang gemacht; drei Stunden bei herrlichem Sonnenschein, und der Ortler ist immer noch mit Schnee bedeckt.«
»Na schön, na schön. Ich prügle aus Patta ein Geständnis heraus und komme morgen zu euch.«
»Erzähl mir von dem Anruf. Wer ist ermordet worden?«, fragte sie mit einem Mal gar nicht mehr heiter.
»Ein Mann, der beim Tribunale arbeitet. Könnte sich um einen Raubüberfall handeln, der aus dem Ruder gelaufen ist.«
Sie war mit diesem Mann seit über zwanzig Jahren verheiratet, und daher fragte sie: »›Könnte‹? Heißt das, wahrscheinlich war es ein Raubüberfall – oder versucht Patta, es als einen zu verkaufen?«
»Nein, könnte sein. Er wurde auf dem Hof seines Hauses getötet, aber erst heute früh aufgefunden. Was Patta tun wird, weiß ich noch nicht.«
»Hast du schon eine Idee?«
»Noch nichts Bestimmtes«, sagte er. Da Paola sich nach dem Mordfall erkundigt hatte, brauchte Brunetti ihr wohl nicht zu erzählen, dass er ihre Mutter eingespannt hatte, der Polizei bei der Untersuchung eines weiteren möglichen Verbrechens zu helfen. Um sich selbst von dem Thema fernzuhalten, fragte er: »Was machen die Kinder?«
»Die sind müde. Ich habe ihnen zu essen gegeben, und jetzt versuchen sie, bis zehn Uhr wach zu bleiben. Wahrscheinlich glauben sie immer noch, nur kleine Kinder gehen vorher zu Bett.«
»Ach, wäre ich ein kleines Kind!«, rief Brunetti theatralisch.
»Also dann. Mach dir zu essen. Und dann leg dich schlafen. Bis dahin ist zehn Uhr längst vorbei.«
»Danke«, sagte er. »Hoffentlich bleibt es bei euch sonnig
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