Auf Treu und Glauben: Commissario Brunettis neunzehnter Fall (German Edition)
umgehend: »Ich meine: doch.«
»Was denn nun, Lorenzo?«, fragte Brunetti.
»Natürlich steht das im Vertrag, aber nicht in den Dateien des Ufficio dei Registri.«
»Wo denn dann?«
»In Fulgonis Steuererklärung.«
»Die ist auch hier drin?«, fragte Brunetti mit einem freundlichen Nicken in Richtung Computer, dem Hort aller Informationen.
»Ja.«
»Und?«, sagte Brunetti und zeigte ungeduldig auf den Monitor.
»Ich weiß nicht, wie ich da herankommen kann«, gestand Vianello.
»Aha«, sagte Brunetti und ging in sein Büro zurück. Da Patta wahrscheinlich noch in der Questura war, rief Brunetti bei Signorina Elettra an und fragte, ob sie in Punteras Steuerunterlagen nachsehen könne, wie viel Miete er für die drei Wohnungen in dem Palazzo an der Misericordia einnehme.
»Nichts einfacher als das, Commissario«, sagte sie. Er legte auf und gab sich alle Mühe, sich durch die Lässigkeit ihrer Antwort nicht in seiner Hochachtung für Vianello beirren zu lassen.
Nachdem er eine Weile die Wand angestarrt hatte, rief er sie noch einmal an. »Könnten Sie bei der Gelegenheit«, bat er sie, »auch gleich einmal nachsehen, ob es eine Aufstellung seiner Gerichts- und Anwaltskosten gibt, mit den Namen der Anwälte, denen er in den letzten Jahren ein Honorar gezahlt hat? Geldstrafen, die er für irgendeine seiner Firmen bezahlen musste? Schadensersatz? Einfach alles, was ihn mit Anwälten und Gerichten in Verbindung bringt.«
»Selbstverständlich, Signore«, sagte sie, und Brunetti dankte insgeheim den Göttern, die ihm diesen modernen Merkur in Frauengestalt geschickt hatten, der zwischen ihm und dem, was er bei sich den Cyber-Himmel nannte, so mühelos Botschaften hin- und herbefördern konnte. Einen Mann in seinem Alter, der noch mit Papier und den entsprechenden Vorurteilen aufgewachsen war, beunruhigte die Vorstellung sehr, dass jedem, der wusste, wie es ging, so viele persönliche und private Informationen in elektronischer Form zugänglich waren. Natürlich hatte er absolut nichts dagegen, von Signorina Elettras Raubzügen zu profitieren, aber das hielt ihn nicht davon ab, ihre Aktivitäten genau als das – als Raubzüge – zu betrachten.
Plötzlich überkam ihn etwas, das an Erschöpfung grenzte. Da war die Hitze, die Einsamkeit, in der er lebte, die Notwendigkeit, sich Patta zu beugen, um die eigenen Ziele zu erreichen, und dann war da der Blutfleck auf dem Pflaster des Innenhofs, das Blut dieses rechtschaffenen Menschen, das Blut von Fontana.
Er verließ die Questura, ohne jemandem Bescheid zu sagen, nahm die Nummer eins nach San Silvestro, bestellte dort im Antico Panificio eine Pizza zum Mitnehmen, mit scharfer Wurst, Rucola, Pepperoni, Zwiebeln und Artischocken, ging nach Hause, setzte sich auf die Terrasse, aß die Pizza, trank zwei Bier und las dabei Tacitus, dessen pessimistische Sicht der Dinge das Einzige war, was er in seinem gegenwärtigen Zustand ertragen konnte. Dann ging er ins Bett und fiel in erholsamen Schlaf.
Als Brunetti am nächsten Morgen in die Questura kam, richtete ihm der diensthabende Beamte aus, Ispettore Vianello wolle ihn sprechen. Vianello saß im Bereitschaftsraum mit Zucchero zusammen, der sich aber entfernte, sowie er Brunetti hereinkommen sah.
»Was gibt’s?«, fragte Brunetti, als er vor Vianellos Schreibtisch stand.
»Ich habe alle Fontanas im Telefonbuch angerufen, und einer von ihnen, Giorgio, ist offenbar ein Cousin des Toten. Ich habe ihn gefragt, ob wir ihn aufsuchen und mit ihm reden können, aber er meinte, er würde lieber hierherkommen.«
»Hattest du den Eindruck, dass er uns was zu erzählen hat?«
Vianello hob unschlüssig die Hände. »Mehr hat er nicht gesagt, nur, dass er gleich kommen und mit uns reden will.«
»Was hast du geantwortet?«
»Dass du um neun hier sein wirst.«
»Gut«, sagte Brunetti. »Komm mit mir rauf.« Vianellos Telefon klingelte, und als Brunetti aufmunternd nickte, nahm Vianello ab. Er hörte kurz zu und sagte dann: »In Ordnung. Bringen Sie ihn bitte zu Commissario Brunettis Büro hinauf.« Er legte auf und sagte: »Er kommt jeden Moment.«
Sie gingen eilig nach oben. Brunetti stieß die Fenster auf, aber das half auch nicht viel; die Hitze und die stickige Luft ließen sich nicht vertreiben. Kurz darauf klopfte Zucchero an den Türpfosten und sagte: »Hier ist ein Besucher für Sie, Commissario: Signor Fontana.« Er salutierte zackig und trat einen Schritt zurück.
Araldo Fontana war als kleiner, unscheinbarer Mann
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