Auf Umwegen ins Herz
Bewegung nur aus dem Augenwinkel wahrnahm, so verwirrte mich sein vorsichtiges Lippenlecken so sehr, dass ich froh war, meine Frage davor gestellt zu haben, denn spätestens jetzt hätte ich sie vergessen.
Ihn hingegen hatte offensichtlich nichts aus der Ruhe gebracht, denn er antwortete mit fester Stimme, ohne Wangenrötung und ohne meinem Blick auszuweichen. „Es ist schon einige Zeit her, dass ich beschlossen hab, mit meiner Vergangenheit aufzuräumen. Zu den meisten von damals war der Kontakt schnell wiederhergestellt, doch bei dir … das war ziemlich schwierig, dich ausfindig zu machen.“
„Tatsächlich?“ Ich hatte mich noch nie damit beschäftigt, ob und wie man mich finden kann. Gut, meine Telefonnummer stand nicht im Telefonbuch, und auf der Website des Verlages war kein Foto von mir abgebildet.
Julian nickte und trank einen Schluck Eistee. „Ja, das war eine kleine … Herausforderung für mich.“
Er zwinkerte mir zu. „Keiner von den anderen hat noch Kontakt zu dir. Niemand konnte mir sagen, wo du damals gewohnt hast, geschweige denn, wo du heute zu Hause bist. Ich stellte mich bereits darauf ein, dass ich dich nie finden würde, weil du den Nachnamen deines Ehemanns angenommen hast.“
Moment … war das jetzt eine versteckte Frage über meinen Beziehungsstatus? Ich konnte das Grinsen nicht unterdrücken und war ein kleines bisschen … stolz. Dieser Mann wollte wissen, ob ich vergeben war! Dann testen wir mal seine Reaktion.
„Nein, ich bin … Single.“
Als ich das magische Wort ausgesprochen hatte, wich sichtlich etwas Anspannung aus seinem Gesicht, und sein Lächeln reichte bis zu den Augen. Ha! Ich hab‘s gewusst!
Dann ermahnte ich mich gedanklich und rief mir in Erinnerung, wen ich hier vor mir hatte. Eigentlich ging ihn mein Privatleben gar nichts an. Wer weiß, wofür er die Info jetzt missbrauchte? So nett er auch versuchte, bei mir anzukommen, ich konnte ihm einfach nicht vertrauen.
Julian trank von seinem Glas, bevor er fortfuhr. Ich verfolgte sehnsüchtig die Bewegung seiner Zunge, die anschließend seine Lippen leckte.
„Naja, jedenfalls … Du glaubst gar nicht, wie viele Jana Sommer es auf Facebook gibt. Ich war heilfroh, als ich deine Antwort im Postfach hatte …!“
Er sah mir direkt in die Augen und nahm mir mit seinem warmen Lächeln endgültig den Atem. Was sollte ich darauf erwidern? Verlegen drehte ich mein Glas zwischen den Handflächen, wischte das Kondenswasser an seiner Außenseite ab.
„Dann … sag ich Danke fürs Suchen und … fürs Entschuldigen. Mit so viel Ehrlichkeit hab ich nicht gerechnet.“ Ich nahm all meinen Mut zusammen und sah ihm wieder in die Augen. Er lächelte, und mein Herz hüpfte begeistert.
„Jana, ich sag Danke. Fürs Annehmen meiner Entschuldigung und vor allem … dass du überhaupt gekommen bist. Ich war mir bis zum Schluss unsicher, ob ich dich heute sehen würde. Deshalb freu ich mich jetzt umso mehr, mit dir hier zu sitzen.“
Oh, ich freue mich auch …
NEIN! Ich freute mich natürlich nicht … verdammt! Was war denn mit mir los? Ich mochte ihn doch eigentlich gar nicht. Ich war wütend auf ihn, sehr wütend, um genau zu sein. Da lockte er mich in das Café, um mich vollzusülzen und mich um seinen Finger zu wickeln. Nein, nein, mein Lieber, so funktioniert das nicht!
Ich rief mir also seine inakzeptable Aktion im Jugendzentrum in Erinnerung, kniff meine Augen zusammen, und, ehe ich mir auf die Zunge beißen konnte, sprudelten die Worte aus mir heraus: „So, so, und jetzt denkst du, wir sind Freunde? Wenn du das glaubst, hast du dich gehörig geschnitten. Du hast gesagt, was du sagen wolltest. Okay, find ich super, dass du nach so vielen Jahren endlich drauf kommst, dass du damals einen Fehler gemacht hast. Zwar reichlich spät, aber besser spät als nie, heißt es, oder?“
Ich schnaubte verächtlich, lehnte mich zurück und verschränkte meine Arme. Das war ja gar nicht mal so schlecht. Fast ein bisschen zu wüst, aber hey, da sprudelte gerade jahrelang aufgestaute Wut aus mir heraus.
„Tja, ich weiß … es ist wohl etwas spät für meine Entschuldigung. Nur damals, da fehlte mir der Mut, auf dich zuzugehen und es wiedergutzumachen. Abgesehen davon hast du mich ja gekonnt ignoriert …“
Natürlich, Mister „Ich-reiß-die-Klappe-am-lautesten-auf“ hatte Angst gehabt, etwas zu sagen. Dass ich nicht lache!
Ich unterdrückte ein Augenrollen … zum Glück, denn …
„… Und trotzdem ließ es mir bis heute
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