Auf Umwegen ins Herz
direkt an seines angrenzte, traf es regelmäßig meine Freundin.
„Nein, ich hab nur so einen Heißhunger. Hast du schon Pläne für die Mittagspause?“, fragte sie, während sie sich Schokokrümel von ihren Fingerspitzen schleckte.
„Mit dir essen gehen?“
„Chinesisch?“
„Da bin ich dabei. Treffen wir uns unten im Foyer um zwölf.“
„Geht klar.“ Und weg war sie wieder.
Der China-Palast lag direkt gegenüber von unserem Büro, und deshalb verbrachten wir dort regelmäßig unsere Mittagspausen. Wir nahmen an unserem Stammtisch Platz und gaben unsere Getränkebestellung auf, bevor wir uns aufs All-you-can-eat-Mittagsbüffet stürzten.
Sobald wir vor bunt gemischten Tellern voll mit klebrigen Soßen, verschiedenen Fleisch- und Gemüsesorten sowie einem Extrateller mit Mini-Frühlingsrollen saßen, nahm Isa unser gestriges Gespräch noch einmal auf.
„Weißt du, als du weg warst, habe ich noch lange darüber nachgedacht, was du über Julian erzählt hast.“
Innerlich stöhnte ich auf, da ich gehofft hatte, wir würden uns einem anderen Thema widmen, von mir aus noch einmal den Busfahrern. Doch ich hätte wissen müssen, weshalb sie mich von den Kollegen weglockte, die die Mittagspause wie wir meistens auch in der Kantine verbrachten.
„So? Und was hast du rausgefunden?“ Ich schaufelte mir Reis mit Hühnchen süßsauer in den Mund und wartete auf ihre Erklärung.
„Dass du ihn dir besser warmhalten solltest.“
„Und wieso sollte ich das deiner Meinung nach?“
„Naja, wenn der Typ wirklich sooo heiß ist, wie du sagst … Wer weiß, was sich da noch entwickelt. Und seien wir mal ehrlich: Wie viele Männer, die wir kennenlernen, sind wirklich heiß?“
Damit hatte sie natürlich nicht unrecht, doch andererseits: „Stimmt schon, aber einen heißen Typen hat frau nie für sich alleine. Die wissen alle, wie sie aufs andere Geschlecht wirken, und lassen nichts anbrennen. Du kennst das doch, Isa!? Hast du einen attraktiven Mann als Freund, teilst du ihn ziemlich sicher mit einer anderen. Wenn nicht mit mehreren!“
„Wer redet denn von einer Beziehung?“, schmunzelte sie. War ja wieder mal klar, dass meine beste Freundin nur an das Eine dachte. Isa wäre die perfekte Frau für einen solchen Mann – mit ihrem äußerst ausgeprägten Sexualtrieb.
„Ich will ihn weder in meinem Leben noch in meinem Bett haben!“
„Du lügst!“ Isas Grinsen ging von einem Ohr zum anderen. Ich konnte nicht anders und grinste zurück.
„Weißt du“, lenkte ich vom Thema ab, „seine Entschuldigung hat sich wirklich so angehört, als würde er sie ernst meinen. Ich denke, er hat sich ernsthaft Gedanken darüber gemacht, was er mir sagt und wie er es sagt. Es hat sich nicht wie … auswendig gelernt angehört, und trotzdem war es kein leeres Geschwafel. Es hat mich wirklich überzeugt: Es tut ihm leid, wie er sich verhalten hat.“
„Vielleicht hat er sich ja wirklich positiv verändert. Kann ja bei Männern auch mal vorkommen.“
„Er hat sich mit Sicherheit verändert, seit ich ihn das letzte Mal gesehen hab. Das hab ich auch, das ist nun mal so. Es liegen immerhin fünfzehn Jahre dazwischen. Da macht man so seine Erfahrungen, die einen prägen … und verändern. Du weißt schon, der erste Job, die erste eigene Wohnung … die ersten sexuellen Erfahrungen.“
„So wie deine, meinst du?“, konnte sich Isa nicht verkneifen, was ich mit rausgestreckter Zunge und bösem Blick quittierte. So wie meine, da hatte sie recht. Und ich wurde wieder mal gezwungen, an das Erlebnis zu denken, das ich am liebsten aus meinen Gedanken verdrängen wollte.
Isa hatte einen wunden Punkt bei mir getroffen. Und obwohl ich mir sicher war, dass sie wusste, wie ungern ich daran dachte, wie mich Julian auf dem Sommerfest vor unseren Freunden begrapscht und beleidigt hatte, stocherte sie die ganze restliche Zeit im Restaurant in diesen alten Wunden.
Nach der Mittagspause war ich froh, mich wieder in meine Arbeit stürzen zu können und brütete über dem Layout der Doppelseite über die neuesten Schuhtrends. Gerade, als ich sämtliche störende Gedanken vertrieben hatte und mich wieder voll auf die Gestaltung konzentrierte, vibrierte mein Smartphone. Zuerst wollte ich es ignorieren, doch, als ich sah, dass es meine Mutter war, ging ich ran. Sie würde ja doch nicht locker lassen.
Nach einer kurzen Begrüßung legte sie los: „Vielleicht bilde ich es mir ja ein, aber als du gestern bei mir warst, warst du irgendwie
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