Auf Umwegen ins Herz
in meinem Hals.
„Jana, du bist alt genug, um zu wissen, was du tust. Ich möchte nur, dass du dabei eins nicht vergisst: Ich bin immer für dich da, und egal, was passiert, du kannst immer mit deinen Sorgen zu mir kommen.“
Ich brachte nur ein leises „Danke, Mom. Ich muss jetzt wieder an die Arbeit“ über meine Lippen. Schnell legte ich auf, bevor meine Mutter auf das Zittern in meiner Stimme reagieren konnte. Eine Weile saß ich noch da und dachte über ihre Worte nach. Vielleicht hätte ich mich ihr damals wirklich anvertrauen sollen. Sie hätte mich zumindest im Arm halten können, mit mir über meine Enttäuschung und meine Ängste gesprochen.
Die Zeit ließ sich nicht zurückdrehen, aber ich war überzeugt, ich hatte die Situation damals – obwohl ich sie alleine bewältigen musste – ganz gut gemeistert.
Die Arbeit nahm mich auch am folgenden Tag voll ein, und ich hatte nur wenig ruhige Momente, in denen ich achtgab, nicht an Julian zu denken. Er hatte bei Weitem nicht den Status, sich in meinem Kopf ausbreiten zu dürfen, wann immer er wollte. Sobald mir bewusst wurde, dass er und unsere Unterhaltung im Café in meinem Kopf herumgeisterten, lenkte ich meine Gedanken bewusst in eine andere Richtung – und meistens gelang mir das auch ganz gut.
Die Planung für die Augustausgabe stand bevor, und ich hatte alle Hände voll zu tun, sämtliche Anzeigen vermischt mit redaktionellen Beiträgen geschickt aufzuteilen und die Seiteneinteilung entsprechend den Wünschen der Kunden und meines Chefs zu gestalten. Diese Phase war meiner Meinung nach die anstrengendste des gesamten Produktionsablaufes, denn wenn jeder Artikel, jede Werbung erst einmal platziert war, ging es endlich an die schöne kreative Arbeit. Das Gestalten der einzelnen Seiten war meine Leidenschaft, ich liebte das Arrangieren der Bilder und Texte zu einem ästhetischen Gesamtbild. Ich konnte mir nicht vorstellen, je eine andere Arbeit zu machen.
Als ich abends das Büro verließ, brummte mein Kopf, und ich war total erledigt. Eigentlich war mir nach einer heißen Dusche und „Fernsehschlafen“, doch andererseits hatte ich am Morgen in weiser Voraussicht meine Sporttasche ins Auto gepackt. Ich wusste, wenn ich erst nach Hause fahren müsste, um sie zu holen, würde ich den Sport ausfallen lassen. Der innere Schweinehund war heute ziemlich hartnäckig. Doch dann fiel mir ein, dass mir Marco sicher etwas über seinen Eindruck von Julian mitteilen wollte. Und das wollte ich mir natürlich nicht entgehen lassen.
Isa war bereits seit einer halben Stunde im Studio und joggte auf dem Laufband. Marco sah ich nirgends, also schleppte ich mich müde in die Umkleide und hoffte auf einen Energiekick, sobald ich selbst auf dem Laufband war.
Ich gesellte mich zu meiner Freundin, neben der eben eines der Geräte frei wurde, und winkte ihr lächelnd zu. Zum Aufwärmen und Puls hochfahren ging ich die ersten paar Minuten bei hoher Geschwindigkeit, ehe ich diese steigerte und in einen gemütlichen Laufschritt wechselte. Übertreiben wollte ich es heute nicht, und bereits nach einer knappen Viertelstunde wurde mir bewusst, dass ich es an diesem Abend nicht lange aushalten würde. Seitenstechen machte sich bemerkbar, und mein Körper zeigte mir deutlich, dass ihm die Idee mit dem gemütlichen Abend vor dem Fernseher bei Weitem besser gefallen hätte.
„Also … ich denke … für heute sollte ich es besser bleiben lassen“, japste ich weitere fünf Minuten später mit zusammengebissenen Zähnen in Isas Richtung.
Diese zog die Augenbrauen hoch, und Besorgnis schwang in ihrer Stimme mit: „Alles in Ordnung bei dir? Du siehst gar nicht gut aus. Vielleicht solltest du dich setzen? Dein Kopf ist knallrot, und du schnaufst wie kurz vorm Abnibbeln.“
Sie war charmant wie immer, und, hätte ich die Kraft aufgebracht, hätte ich geschmunzelt, doch momentan konzentrierte ich mich nur darauf, nicht ohnmächtig vom Laufband zu kippen. Schwarze Sternchen tanzten vor meinen Augen, als ich das Band zum Stillstand brachte und ich mich mit angewinkelten Beinen flach auf den Rücken legte. Meine Augen hielt ich geschlossen und versuchte, meinen Atem wieder unter Kontrolle zu bringen.
„Darf ich mich dazu legen?“ Die Stimme war unverkennbar die von Marco, und grinsend gab ich ihm ein leises „Na klar“ zur Antwort. Als ich meine Augen aufschlug, blickte ich direkt in seine: haselnussbraun, eingesäumt von dichten Augenbrauen. Kräftige Arme packten mich und
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