Auf Umwegen zum Glück (German Edition)
Rucksack ist alles, was ich dabei habe, und den drücke ich jetzt dem Gepäckkurier in die Hand, damit er ihn in die Pension bringt!“ Sie pfiff auf zwei Fingern, um auf sich aufmerksam zu machen, und schon kam der Kurier ihr entgegen und nahm den Rucksack in Empfang.
Und ab geht’s, ich habe einen Riesenhunger. Am besten gehen wir gleich zum Hafen, da gibt’s die größten Portionen!“ Schon hakte sie sich bei mir ein, und schubste mich in Richtung Bahnhofs-Restaurant.
„Na gut“ nicke ich und seufze ergeben, „dann man los!“ - „Eins noch. Damit Du nur gar nicht glaubst, Du könntest Trübsal blasen, gehen wir heute Abend zum Tanzen in die Giftbude. Die existiert hoffentlich noch?“ Ich komme kaum noch dazu, Luft zu holen. Ihr sprühendes Temperament überrollte mich geradezu. „Aber...“, wandte ich ein. „Nichts da!“ Sie ließ keinerlei Widerspruch zu. Ich nickte nur stumm -mir war alles recht.
Es war gut, dass Tessa bei mir war. Mit ihr würde es leichter werden. Seit Tagen hatte ich nämlich nichts anderes getan, als ununterbrochen über mein Leben nachzudenken. Wie es sein würde, und ob ich das alles bewältigen könnte. Überschwänglich drückte ich ihren Arm „Du bist die Beste!“ murmelte ich.
Zu vorgerückten Stunde betraten wir die bereits übervolle Giftbude. Wir schoben uns durch das Gedränge der Tanzenden hindurch bis zur anderen Seite der Tanzfläche. Die Luft war dick und blau vom Zigarettenqualm. Endlich erreichten wir die Bar und stellten fest, dass sämtliche Hocker besetzt waren. Suchend schauten wir uns um. Zwei „seriöse“ Herren, die dicke Rauchwolken aus ihren Havannas pafften, boten uns ihre Barhocker an, die wir natürlich dankend annahmen. In der gleichen Sekunde, in der wir uns niederließen, erklang ein Tusch der Seemannskapelle und machte damit den ganzen Saal auf die Neuankömmlinge aufmerksam. Das ist so Usus in der Giftbude und heißt: „Wir haben Durst - eine Runde Bier bitte für die Musiker!“ Und schon war der Kontakt hergestellt.
Ich vergaß meinen Kummer. Ausgelassen wippte ich im Takt der Musik mit. Wir amüsierten uns königlich. Der Höhepunkt um Mitternacht war die Krönung der „Miss Juist“. Unter dem Jubel der Gäste betraten die Damen, die sich zur Wahl gestellt hatten, das Podium und boten ihr schönstes Lächeln dar. Im Handumdrehen wurde eine Jury zusammengestellt, die natürlicherweise aus den anwesenden Gästen bestand. Stimmzettel wurden verteilt, hinterher eingesammelt und in einer Urne, die aus einem Bierglas bestand, aufbewahrt. Die Stimmauszählung zog sich endlos hin; denn jeder fünfte Strich musste mit einem „Köm“ (Aquavit) begossen werden. Kurz vor der Sperrstunde dröhnte ein Fanfarenstoß durch die Halle. Die Gewinnerin stand fest. Aber wer war das? Irgendwie sah die Kandidatin gar nicht wie ein zartes Wesen aus, sondern eher ein bisschen handfest. „Auf die Bühne, auf die Bühne!“. Mit Beifallklatschen und Pfiffen wurde die Siegerin zur Bühne geschoben. Ohne jede Hemmung marschierte sie zum Laufsteg, drehte sich Röckchen schwingend um die eigene Achse und begann sich gemächlich zu entkleiden. Unter dem Gejohle der Anwesenden und der aufreizenden Musik fiel die erste Hülle, dann die zweite, und bei der dritten bebte die Halle vor Erwartung. „Weiter, weiter“, schrieen wir. Das Spektakel erreichte seinen Höhepunkt. Wir schauten uns entgeistert an. Striptease auf Juist? Unglaublich! Gebannt schauten alle Augen zur Bühne. Jetzt musste doch endlich das letzte, alles verdeckende Kleidungsstück fallen. Und dann! Enttäuschtes Stöhnen. Der letzte Schleier blieb, wo er war. Betrug, Betrug - lärmten hunderte von Stimmen und machten sich daran, die Bühne zu stürmen. Die Kapelle setzte ein - „Es gibt kein Bier auf Hawaii, es gibt kein Bier.“ Verständnislos schauten wir uns an Was sollte das? Plötzlich tosender Beifall. Der letzte Stofffetzen rutschte nervtötend langsam nach unten. Ein Hawaiimädchen in einem knappen Bikini kam zum Vorschein. Ein Schleier verhüllte aber noch immer das Gesicht. Nur - wer war das? Haare auf der Brust und an den Beinen? Alles hielt den Atem an. Dann kam der Augenblick der Wahrheit. „Betrug, Betrug!“, grölten die Gäste. Das Hawaiimädchen, das vor uns stand, war niemand anders als der Sänger der Band, der sich einen Scherz erlaubt hatte. Und der war hundertprozentig gelungen.
Nachdem sich der Tumult gelegt hatte, wurde es allerhöchste Zeit, die Giftbude
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