Auf Umwegen zum Glück (German Edition)
betrachtete den Himmel, wie er seine Farben wechselte, verfolgte mit den Augen kleine, weiße Wölkchen, die vorüber segelten, und lauschte dem besänftigenden Säuseln des Windes. In der Ferne stiegen ein paar Möwen in den blauen Himmel auf und zogen kreischend ihre Kreise. Da, dort draußen, bewegte sich etwas. Mit der Hand beschattete ich meine Augen. Ein einsamer Surfer jagte über die Wellenkämme. Und an der Peripherie, dort, wo der Himmel und das Meer sich berühren, war als schemenhafte Silhouette ein Luxusdampfer auszumachen, die Hamburg-Amerika-Linie. Seltsamerweise fiel mir jetzt ein Spruch meiner Mutter ein. Sie sagte einmal: „Es ist eigenartig, das Meer hilft immer; es hat eine unglaublich heilsame Wirkung auf die Seele!“
Das Meeresrauschen wurde intensiver. Die Flut kam. Die Brandung, der gleichmäßige Klang der heranrollenden Wellen, das Summen der vielen Insekten im Dünengras, das betörende Streicheln des lauen Windes auf meiner Haut führten dazu, dass meine Augen zufielen und ich im Land der Träume versank.
Stille umfing mich. „Hallo“ rief ich. Nichts. Ein rötlich glühender Feuerball erhob sich aus dem Meer und stieg hinauf zum Horizont. Begrüßt von leise, melodiöse Stimmen, die ich zwar hörte, aber ich sah keine Sänger.
Leichtfüßig erhob ich mich. Ich schwebte. Ich schwebte einfach davon, geborgen wie in Abrahams Schoß. Ich war so leicht wie eine Feder. Ein tiefes Glücksgefühl durchrieselte meinen Körper. Ich fühlte mich wohl, so wohl, wie seit langem nicht mehr. Alle Anspannungen fielen von mir ab. Freudetrunken schaute ich mich um. Wolkenkinder beugten sich zu mir herunter und winkten mir zu. „Komm mit!“, forderten sie mich auf und dann waren sie schon entschwunden. Ich schwebte wirklich. Meine Füße berührten kaum den Boden. Alles war so heiter und unbeschwert. Die ersten Sonnenstrahlen kitzelten mich an der Nase, ich musste niesen, ich roch die morgenkühle, salzige Luft. Und wieder hörte ich leise, singende Stimmen. Eine Melodie, so süß und verheißungsvoll, wie ich noch nie eine gehört hatte. Traumverloren hörte ich zu, und machte mich barfuß auf den Weg, immer dem lockenden Klang der Töne nach.
Von weither drang das Geschrei der Möwen herüber, kleine, sich kräuselnde, schaumige Wellen rollten an den Strand, der Wind streichelte meine Haut. Wohlig dehnte ich meine Glieder und breitete die Arme aus, als wollte ich alles umarmen. Die Gegend schien mir seltsam vertraut zu sein. Meine Blicke schweiften umher. Natürlich, ich war auf Juist! So weit das Auge reichte, dehnte sich vor mir das blaue Meer aus. Die Flut rollte heran. Das ewige Auf und Ab der Gezeiten. Eine ganze Weile vertiefte ich mich in dieses Schauspiel. Der Strand war menschenleer. Er gehörte mir. Niemand störte mich. Die ganze Schönheit der Insel, der paradiesische Strand, die Dünen, der wolkenlose Himmel, die Morgenfrische, all dies entlockte mir einen Freudenschrei.
Je weiter ich voran schritt, desto näher kam ich den betörenden Stimmen. Und dann sah ich sie. Zarte, wunderschön gekleidete Meerjungfrauen stiegen aus den Schaumkronen empor. Beseligt eilte ich auf sie zu, ließ mich von ihnen in ihre Mitte ziehen und tanzte mit ihnen weit hinaus aufs Meer. Ich spürte mich gar nicht mehr. Ich war so leicht, wie ein Blatt im Wind. Mit den Nixen sprang ich jauchzend von Welle zu Welle bis ans Ende der Insel, wo sich das Meer endlos nach beiden Seiten ausdehnt und die Insel umschließt. Der Gesang des Windes und die Melodie des Meeres verschmolzen zu einem grandiosen Crescendo. Hier, am Ende der Insel, verschwand eine Nixe nach der anderen. Sie kehrten zurück in ihr nasses Element. Traurig schaute ich hinter ihnen her. Ich wäre so gern bei ihnen geblieben.
Eine zarte Gestalt löste sich aus dem Wassernebel: „Ich möchte Dir etwas zeigen“, wisperte sie. Ihre Stimme klang sanft in meinen Ohren. Sie nahm mich bei der Hand und zog mich ein Stück weiter aufs Meer hinaus. Ich verspürte keinerlei Angst, im Gegenteil. Jede Zelle meines Körpers vibrierte und ein wohliges Kribbeln durchfuhr mich. Und dann geschah das Unfassbare: Ich konnte hinabsehen in die unendliche und geheimnisvolle Tiefe des Meeres. Helles Licht flammte vor mir auf, bunt wie ein Regenbogen. Unglaublich. Ein Raum, so eine Art Kapsel, breitete sich vor meinen Augen aus. Sie schien zu schweben. Elfenkinder, Nixen, kleine und große, tobten durch sie hindurch. Ein Kindergarten. Langsam drehte sich die Kapsel.
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