Auf Umwegen zum Glück (German Edition)
mir besser. Ich schlüpfte in meinen Trainingsanzug, trottete in die Küche und kochte mir einen Haferbrei mit einem Klecks Sahne oben drauf. Der hatte mir als Kind schon immer geholfen. Ich löffelte den klebrigen Brei und fragte mich: „Wie soll mein Leben eigentlich weitergehen?“ Und dann hatte ich nur noch einen Gedanken: Fort von hier, die Flucht nach vorn antreten, und zwar sofort! Ich musste weg! Weg von hier, um meine Wunden zu lecken. In Windeseile packte ich meinen kleinen Reisekoffer, schwang den Rucksack über die Schulter, rief meine Freundin Tessa an, um sie zu informieren, setzte mich in den Zug nach Norddeich und konnte es kaum erwarten, meine Lieblingsinsel zu erreichen - Juist!
Insel Juist
„Norddeich-Mole!“, rief der Zugbegleiter, „Alles Aussteigen!“ Die Türen öffneten sich, und schon stand ich auf dem Bahnsteig. Mein Gepäck übergab ich einem der Kofferträger, die mit ihren Handkarren auf Kundschaft wartend am Bahnhof standen. Die Gepäckstücke verschwanden anschließend im Schiffsbauch. Sobald die Fähre auf Juist anlegte, wurden sie sortiert und zur angegebenen Adresse gebracht, einerlei, ob es sich um ein Hotel, eine Pension oder eine Privatwohnung handelte.
Gemächlich schlenderte ich zur Fähre „Frisia“ hinüber, die abfahrbereit an der Mole lag. Ich kletterte den Steg hoch, ließ mich auf dem Oberdeck nieder, streckte die Füße weit von mir, und atmete seit meiner Flucht aus Düsseldorf zum ersten Mal ruhig durch. Ich sah mich um. Rasch füllte sich das Schiff. Jeder Platz auf dem Oberdeck war bereits besetzt, doch immer noch standen eine Menge Leute wartend vor dem Steg, um aufs Schiff zu gelangen. Sie drängten und schubsten sich gegenseitig, denn jeder wollte aufs Oberdeck, zumal die Sonne vom Himmel strahlte. Die Schiffssirene heulte drei Mal auf und mahnte die säumigen Touristen, sich zu beeilen. Die Fähre war tideabhängig und musste schnellstens ablegen. Kaum hatte der letzte Tourist das Schiff betreten, wurde schleunigst der Steg entfernt. Die angeworfenen Motoren vibrierten und rückwärts verließ das Schiff die Mole, wendete und dampfte mit qualmendem Schornstein los in Richtung Juist. Ruhig durchpflügte die Fähre die vorgeschriebene Fahrrinne, begleitet vom Gekreisch der Möwen auf Suche nach Leckerbissen. Freudetrunken schaute ich über die Weite der Nordsee und hatte das Gefühl, bis ans Ende der Welt blicken zu können. Touristen, die das erste Mal nach Juist fuhren, liefen treppauf und treppab und besichtigten das Schiff. Ältere Herrschaften begaben sich ins Restaurant, um nach der langen Anfahrzeit genüsslich einen ersten ostfriesischen Tee mit Kluntjes zu genießen. Kellnerinnen in engen, schwarzen Hosen und weißen Blusen eilten von Tisch zu Tisch und nahmen Bestellungen entgegen.
Mir fiel das kleine, urgemütliche Teehaus auf Juist ein. Das kleine Teehaus - das Lütje Teehuus im Januspark -. Es ist eines der ältesten Häuser der Insel. Dicht belaubte Bäume neigen sich über den First, und blühende Wildrosen rücken bis an die Hauswand vor. Dort gibt es den besten ostfriesischen Tee, den ich je getrunken habe. Serviert wird er nach althergebrachter Art mit Kluntjes, frischer, flüssiger Sahne, die man über einen Silberlöffel in den Tee laufen lässt und dazu ein bisschen Buttergebäck. Das Stövchen fehlt selbstverständlich auch nicht. Himmlische Torten, heiße Waffeln mit Himbeeren sowie kleine Inselspezialitäten, alles von Hand gemacht, kann man dort nach einem anstrengenden Strandspaziergang genießen. Allein bei dem Gedanken an die Köstlichkeiten läuft mir das Wasser im Mund zusammen.
Zufrieden und entspannt sitze ich auf dem Oberdeck und kann es nicht fassen, dass das Leben auch noch andere Seiten hat als unglückliche. Endlos zeigt sich der Himmel in seinem strahlenden Blau. Ein wundervoller Tag zum Träumen. Ich sehe einer Möwe nach, die auf lautlosen Schwingen der Fähre folgt. Hände reckten sich hoch, die Möwe schoss herab, ergriff mit ihrem Schnabel den Leckerbissen und stieg wieder auf. Dann ein Entsetzensschrei: die Möwe hatte etwas hinterlassen. Möwenkacke ist so ätzend, dass man den Fleck nie wieder vollkommen entfernen kann. Ich musste grinsen. Bei Abfahrt der Fähre hatte der Kapitän bereits die Ansage gemacht: „Bitte die Möwen nicht füttern.“ Gefüttert wurde die Möwe nicht mehr.
Irgendwo hatte ich mal den Spruch gelesen: „Ärgere Dich nicht, wenn Dir ein Vogel auf den Kopf kackt … freue Dich
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