Auf und ab - Mord in Hellwege
dachte an einen Prozess, Holten brannte noch eine Frage auf der Seele.
»Eins musst du mir noch sagen: Was hast du in der Zeit gemacht, als Riecker erschossen wurde? Du bist doch gar nicht in Sottrum gewesen.«
Bernds Augen wanderten auf der Tischplatte hin und her, er zögerte mit der Antwort.
»Du glaubst mir ja doch nicht.«
»Du weißt, dass ich dir glaube.«
Nach einer weiteren Pause:
»Na gut. Ich habe geschlafen.«
Holten wollte seinen Ohren nicht trauen. Er kannte Kasing als fleißigen Handwerker, der seine Arbeit um sieben Uhr in der Früh begann und nicht vor sechs Uhr am Abend an Feierabend dachte.
»Habe ich dich richtig verstanden? Du hast geschlafen?«
»Siehst du, du glaubst mir nicht.«
»Doch, doch. Aber erklären musst du mir das schon.«
»Du weißt ja, dass wir an dem Montag, an dem wir mit euch in der › Brücke ‹ waren, unseren Hochzeitstag hatten. Es war ja auch ein netter Abend mit euch und den anderen.«
Er hielt einen Moment inne, als wüsste er nicht, wie er weitererzählen sollte.
»Naja, und Hochzeitstag ist eben Hochzeitstag. Als wir zu Hause waren, haben wir noch ein wenig Sekt getrunken, und als wir ins Bett gegangen sind, sind wir auch nicht gleich eingeschlafen.«
Er machte eine Pause. Obwohl die beiden sich gut kannten, war ihre Beziehung nicht so eng, dass sie sich intime Einzelheiten aus ihrem Eheleben erzählen würden. Kasing suchte nach der richtigen Formulierung.
»Wir waren richtig in Form. Zweiter Frühling oder so was. Wir sind also ganz spät eingeschlafen.«
Holten konnte sich ein Grinsen nicht ganz verkneifen.
»Herzlichen Glückwunsch, alter Knabe. Man freut sich immer, wenn man so etwas hört. Aber du willst mir jetzt nicht erzählen, dass ihr bis morgens um acht im Bett gelegen habt.«
»Dass ich morgens immer um Viertel nach sechs aufstehen muss, weil wir um sieben Uhr im Betrieb anfangen, ist dir ja bekannt. Ich hatte also nicht allzu viel Schlaf gehabt, und nachdem ich um sieben die Leute eingewiesen hatte, war ich total erledigt. Da bin ich eben noch in den Wald gefahren und habe noch ein Stündchen im Auto geschlafen.«
Verschämt schaute er zur Seite.
»Oh, what a night«, sang Holten leise vor sich hin. Dann wurde er wieder ernst.
»Warum hast du das nicht von Taten erzählt?«, fragte er.
»Hätte der mir geglaubt? Ich denke nicht, ich glaub’s ja selbst kaum. Ich habe so was auch noch nie gemacht, aber ich war einfach zu müde. Wahrscheinlich werd’ ich alt.«
Er grinste verlegen.
»Und was sollen die Kunden und meine Leute im Betrieb von mir denken, wenn das bekannt wird? Ich bin der Chef und muss ein Vorbild in allen Dingen sein – und lege mich um halb acht morgens zum Schlafen nieder. Das darf und kann nicht sein. Dann sage ich schon lieber gar nichts.«
Holten dachte an Susannes Bemerkung vor einigen Wochen, dass Kasing immer sehr ökonomisch dachte. So konnte der letzte Satz einen Sinn bekommen.
Kasing schnaufte tief durch, als er seine Beichte beendet hatte.
Holten glaubte ihm, denn die Geschichte war so unwahrscheinlich, dass sie wahr sein musste.
Um Bernd ein wenig aufzuheitern, erzählte er ihm noch von dem wunderschönen Flug vom vergangenen Wochenende und die Episode mit dem Reporter bei Rieckers Beisetzung, erreichte damit aber nur das Gegenteil.
› Ich muss hier raus! ‹ war der Gedanke, der Bernd beherrschte.
»Kannst du denn gar nichts machen, dass ich hier herauskomme?«
Holten schüttelte den Kopf.
»Das muss dein Anwalt schon fertigbringen.«
»Aber du kennst hier doch alle und weißt, wie man das machen muss!«
»Ich bin aber kein Richter, kein Wunderanwalt und im Übrigen noch nicht einmal mehr Kriminalbeamter.«
»Verdammt, verdammt!«
Kasing war aufgestanden und wanderte im Raum hin und her. Er war schließlich so weit, dass er Holten, wenn auch nicht offen, die Schuld dafür gab, dass er hier einsitzen musste und Holten zu wenig zu seiner Entlastung beitrug.
Der hatte jedoch nichts Konkretes in der Hand, mit dem er Kasing Hoffnung machen konnte. Also erhob er sich und klopfte an die Tür.
Holten hatte am Tag zuvor wieder einmal einen Auftritt mit der Band gehabt und war spät, also früh am Sonntagmorgen, ins Bett gekommen. Er pflegte dann bis ungefähr mittags zu schlafen, und meistens hörte seine mitfühlende Gattin, wenn er nach dem Aufwachen ins Badezimmer schlurfte. Sie brachte ihm dann oft ein Frühstück mit Kaffee, Marmeladenbrötchen und Zeitung ans Bett. Zigaretten, Feuerzeug und
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