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Auf und davon

Auf und davon

Titel: Auf und davon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Thomas
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haben“, meinte sie. „Dein Bruder redet nicht
viel, Beverley, wie?“
    „Er ist schüchtern.“
    Nathan guckte finster. Wenn er eines
nicht war, dann war es schüchtern.
    „Ich glaube, das kommt daher, daß er
nicht mein richtiger Bruder ist“, fuhr Julia fort. „Er ist nur mein
Adoptivbruder. Meine Mutter hat ihn adoptiert, als er noch klein war.“
    „Aha.“ Mrs. Parsons lächelte. Sie war
froh, daß dieses Geheimnis nun aufgeklärt war. „Aber jetzt ist es doch dasselbe“,
sagte sie, „jetzt ist er doch wie ein richtiger Bruder.“
    Julia hielt Mrs. Parsons für die
netteste Frau, die sie je getroffen hatte. Sie bedauerte von neuem, daß sie
einer so netten Frau Lügen auftischen mußte.
    An diesem Abend wusch Julia ihre und
Nathans schmutzige Wäsche und hängte sie zum Trocknen über das Fensterbrett.
Sie mußte zum Waschen Seife nehmen anstatt Waschmittel, aber wenigstens war
jetzt alles wieder sauber und roch gut.
    Sie genoß alles sehr. Daheim mußte die
Mutter sie zehnmal bitten, damit sie ihre Wäsche wusch, doch hier, wo sie alles
selbst bestimmen konnte, machte es Spaß.
    Das Wetter blieb gut, und sie
verbrachten auch die nächsten beiden Tage am Strand. Es gab soviel zu tun, daß
sie keine Angst hatten, es könnte ihnen je langweilig werden. Julia wurde
herrlich braun. Sie bewunderte ihre Bräune hundertmal am Tag. „Ich bin jetzt
fast so braun wie du“, behauptete sie und legte ihren Arm an Nathans Arm.
    Als sie am Freitag nachmittag in die
Pension kamen, hatte Mrs. Parsons Neuigkeiten für sie. „Der Fernseher ist
wieder da!“ sagte sie und strahlte. „Ihr könnt heute abend im Aufenthaltsraum
fernsehen.“ Sie hatten den Fernseher gar nicht so schrecklich vermißt, trotzdem
freuten sie sich, als sie hörten, daß der Apparat wieder da war.
    Nach dem Abendessen sahen sie einen
Krimi und danach eine Familienserie. Nathan mußte sich ganz nah an den
Fernseher setzen, um das Programm einigermaßen verfolgen zu können. Mitten in
der Familienserie kam das farblose ältere Ehepaar herein und wurde unerwartet
lebendig, als die Neun-Uhr-Nachrichten im ersten Programm näherrückten, die die
beiden unbedingt sehen wollten. Nathan hätte gern einen Film im vierten Programm
gesehen und war sauer, weil er nun den Anfang verpaßte.
    „Was für ein ungezogener Junge“, sagte
Mr. Niemand. „Hat man dir nicht beigebracht, daß man vor älteren Leuten Respekt
haben sollte? Als ich so alt war wie du, hat man mir gehörig den Kopf gewaschen,
wenn ich den Mund zur falschen Zeit aufgemacht habe.“
    „Wir haben genausoviel Recht wie sie“,
sagte Nathan.
    „Halt den Mund, Charlie“, sagte Julia. „Wie
redest du denn mit dem Herrn? Wo sind denn deine Manieren?“
    „Du blöde –“ begann Nathan wütend, doch
er beendete den Satz nicht, denn plötzlich sah er sich selbst auf dem
Bildschirm! Und Julia! Nathan war zu Tode erschrocken. Und neben sich spürte er
Julias Angst.
    „Leider gibt es immer noch nichts Neues
von den vermißten Kindern“, sagte der Nachrichtensprecher. „Es ist noch immer
nicht bekannt, wo sie sich seit Montag aufhalten. Daß sie am Montag in Euston
waren, scheint jedoch gesichert...“
    „Die Schulen sind schuld“, behauptete
Mr. Niemand lautstark — er redete nicht von den Nachrichten, sondern von
Nathans Ungezogenheit. „Die Lehrer sind schuld und die Eltern. Heutzutage gibt
es doch keine Disziplin mehr.“ Er sprach so laut, daß er fast den
Nachrichtensprecher übertönte, der jetzt davon redete, daß die Polizei Grund
zur Annahme hätte, die Kinder seien nach Brighton gefahren.
    „Du hast vollkommen recht“, beruhigte
Mrs. Niemand ihren Mann. „Aber jetzt wollen wir doch die Nachrichten hören.“
    „Die Polizei bittet alle Mitbürger, die
glauben, das Mädchen und den Jungen gesehen zu haben, sich zu melden“, fuhr der
Nachrichtensprecher fort. „Die Eltern der beiden sind in großer Sorge,
besonders die Mutter des Mädchens soll einem Nervenzusammenbruch nahe sein.“
    „So eine ungezogene Göre!“ schimpfte
Mr. Niemand. „Ich wüßte schon, was ich mit ihr machen würde, wenn sie meine
Tochter wäre.“
    „Sie kriegen sie“, meinte Mrs. Niemand.
„Und den Jungen auch. Bald. Da bin ich ganz sicher.“
    Der Mann wandte sich an Nathan und
sprach ihn direkt an. „Ich hoffe, du hast gut zugehört. Überleg mal, was dieser
Junge seiner Mutter und seinem Vater antut. Keine Rücksichtnahme, sage ich,
keinerlei Rücksichtnahme!“
    „Das hat doch nichts

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