Auf und davon
während wir dich suchen und
fast verrückt dabei werden! Die Polizei sucht nach dir, weißt du das? Und nach
diesem Nathan Browne — ist er bei dir?“
„Ja, er ist da. Ihm geht es auch gut.“
„Jetzt hör mir mal zu, Julia. Du kommst
augenblicklich nach Hause. Du sagst mir, wo ihr seid, und die Polizei kommt und
holt euch. Hast du gehört, was ich gesagt habe? ... Julia? ... Warte nur, bis
ich dich in die Finger kriege, wenn du nicht tust, was ich dir sage...! Julia?
Bist du noch dran?“
Julia legte den Hörer auf.
Es war schade, daß Julia nicht sehen
konnte, was am anderen Ende der Leitung geschah. Daß sie ihre scharfzüngige
Mutter nicht in ihrem Kummer und ihren Selbstvorwürfen sehen konnte.
Mrs. Winter spürte, daß sie nahe daran
gewesen war, ihr Kind zurückzubekommen, und sie hatte alles verdorben. Zum zweitenmal.
„Ist deine Mutter wütend?“ fragte
Nathan unnötigerweise.
Im Grund war Nathan froh, daß seine
Eltern kein Telefon mehr hatten. Er wollte, daß sie wußten, es ging ihm gut,
aber er wollte keine Szenen. Er wollte zum Beispiel nicht hören, wie sie ihn alle
anflehten zurückzukommen. Weil er auf gar keinen Fall jemals zurückgehen würde.
Er würde nicht nach Hause zurückkehren, wo sie sich bestimmt etwas ganz
Furchtbares für ihn ausgedacht hatten. Jedenfalls in nächster Zeit nicht. Er
hatte den Entschluß gefaßt wegzulaufen, also würde er auch beim Weglaufen
bleiben. So lange er konnte. Julia und Nathan saßen auf dem Kies und schauten
hinaus aufs Meer.
„Nathan, glaubst du, Mrs. Henrey weiß
das von uns?“
„Klar.“
„Und Mr. Barlowe?“
„Klar — wir waren im Fernsehen!“
„Und die ganze Klasse. Sie haben es
alle gesehen. Wir sind berühmt, oder? Stell dir mal vor, wir sind berühmt! Ich
hätte nie gedacht, daß ich mal berühmt werde. Du, Nathan?“
„Weiß nicht. Vielleicht werd ich mal
ganz furchtbar berühmt.“
„Wie denn?“
„Weiß nicht. Vielleicht mach ich mal
was Berühmtes. Vielleicht schreib ich mal ein Buch. Wie die Schatzinsel.“
„Du könntest ein Buch über uns
schreiben, wie wir von zu Hause weggelaufen sind.“
„Nein — das ist zu gewöhnlich. Ich
meine Abenteuer
auf hoher See oder
sowas.“
„Oh.“
Der Samstag nachmittag ging in den
Samstag abend über, und dann kam der Sonntag mit Kirchenglocken und ganzen
Horden von Menschen, die im Auto oder mit Bus oder Bahn in Brighton eintrafen.
Wie so oft am Wochenende war das Wetter schlechter geworden, es war bewölkt und
diesig. Julia kam sich dumm vor mit ihrem Anorak über den Kleidern einer
Sechzehnjährigen. Die großen Bekleidungshäuser hatten geschlossen, doch sie
fand einen einigermaßen modischen Regenmantel in einem der kleinen Geschäfte an
der Uferpromenade und fröstelte lieber darin.
Das Meer war graugrün und aufgewühlt.
Ein paar Unerschrockene badeten, doch Julia war nicht danach. Nathan war
zufrieden, wenn er nach Schiffen Ausschau halten und an den Spielautomaten
stehen konnte. Doch Julia kam der Tag endlos lang vor. Sie war nervös und
gereizt und hoffte, daß am nächsten Tag wieder die Sonne schien.
Sie schien nicht. Am Montag morgen
fragte Mrs. Parsons Julia, ob sie die Rechnung bezahlen könnte für die Woche,
die sie und Charlie bereits bei ihr wohnten. Sie erkundigte sich nach dem
Befinden der Mutter, und Julia erzählte, daß es ihr am Sonntag nicht so gut
gegangen sei. Sie sagte das, damit es einen Grund gab, vielleicht noch eine
weitere Woche zu bleiben, und Mrs. Parsons sagte, daß ihr das mit der Mutter
leid tue, daß es sie aber nicht überrasche, da sie bemerkt habe, wie
niedergeschlagen Julia in den letzten beiden Tagen gewesen sei. „Kopf hoch,
Liebes“, sagte sie. „Der Himmel weiß, deine Mutter ist bald wieder putzmunter,
verlaß dich drauf. Solche Dinge brauchen einfach ihre Zeit.“
Sie gingen an den Strand, und Julia
starrte düster auf die Wellen, die die Farbe der Dächer von London hatten und
sich schäumend am Kies brachen. Dunkle, drohende Wolken ballten sich über dem
Wasser zusammen, und bald fielen die ersten Tropfen. Julia und Nathan setzten
sich in ein kleines Café an der Promenade, tranken Cola und warteten darauf,
daß der Regen wieder aufhörte.
Andere Urlauber hatten dieselbe Idee.
Sie drängten sich in das kleine Café, suchten Schutz vor dem schlechten Wetter,
und bald saßen Julia und Nathan nicht mehr allein am Tisch. Eine vierköpfige
Familie hatte sich zu ihnen gesetzt. Sowohl die Eltern als auch die
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