Auf und davon
mit mir zu tun“,
wehrte Nathan ab.
„Ich weiß, daß es nichts mit dir zu tun
hat“, sagte Mr. Niemand. „Es ist nur ein Beispiel dafür, wie sich die jungen
Leute heutzutage verhalten. Jetzt sei still, damit wir die anderen Nachrichten
hören können.“
Seltsamerweise waren Nathan und Julia
nicht erkannt worden. Fotos von ihnen waren im Fernsehen gekommen, und Mr. und
Mrs. Niemand hatten sie nicht erkannt. Klar, Julias Foto hatte ein blasses
Mädchen mit Zöpfen gezeigt, das kaum noch Ähnlichkeit hatte mit der
sonnengebräunten jungen Dame mit blonden Locken und rosafarbenem Lippenstift.
Und Nathans Bild zeigte ihn mit dicken Brillengläsern, die seine Augen
verzerrten und auch ihn ganz anders aussehen ließen als den kleinen Jungen, der
an diesem Abend neben seiner Schwester saß. Julia und Nathan blieben
nebeneinander sitzen. Sie wußten, daß sie sich nicht zu früh entfernen durften.
Nach einer Weile mimte Julia ein Gähnen. „Ich bin müde — das macht die viele
frische Luft.“ Sie gähnte wieder. „Bist du auch müde, Charlie? Gehen wir ins
Bett?“ Sie hoffte, daß ihre Stimme nach dem Schock wieder normal klang.
„Still!“ sagte Mr. Niemand.
„Entschuldigung“, flüsterte Julia. „Komm,
Charlie.“
In ihrem Zimmer ließen sie die
aufgestaute Spannung ab. Sie jubelten und kicherten und hüpften auf den Betten
herum. Nathan machte einen Kopfstand und hielt es eine halbe Minute lang aus,
bevor er kichernd zusammenklappte, während Julia ein selbstgedichtetes Lied
sang: „Sie er-ke-he-hen-nen uns nicht! Sie er-ke-he-hen-nen uns nicht!“
„Sie krie-hi-hi-gen uns nicht! Sie
krie-hi-hi-gen uns nicht!“ stimmte Nathan ein.
In allerbester Laune legten sie sich
ins Bett.
Beide wachten vor Morgengrauen auf.
Nathan hörte, wie Julia sich im Bett herumwälzte, und er glaubte, sie
schluchzen zu hören. „Was ist los, Jule?“
„Nichts.“
„Warum machst du dann solche Geräusche?“
„Mach ich doch gar nicht. Ich kann
nicht wieder einschlafen.“
„Ich auch nicht... Julia, du hast doch gesagt,
daß deine Mutter dich nicht mag.“
„Tut sie auch nicht.“
„Warum hat sie dann einen
Nervenzusammenbruch?“
„Sie tut bestimmt nur so.“
„Ja — meine Mutter und mein Vater tun
auch nur so.“
„Ja — sie wollen uns nur zurückhaben,
damit sie der Polizei sagen können, was wir gemacht haben. Nicht wahr, Nathan?“
„Ja — und damit sie uns einsperren
können.“
„Was wollten sie noch mit uns machen,
Nathan?“
„Ach, du weißt schon — alle möglichen
Sachen.“
Es war etwas sehr Schlimmes, und es lag
ihm natürlich auf der Zunge, aber so ganz richtig erinnern konnte er sich nicht
daran.
Langes Schweigen.
„Nathan?“
„Was?“
„Sollen wir nachher daheim anrufen?“
„Ja, wenn du meinst.“
„Und sagen, daß es uns gut geht?“
„Wenn du meinst.“
Nachdem sie so ihr Gewissen beruhigt
hatten, schliefen Nathan und Julia tief und fest bis zum Morgen.
Julia und Nathan gingen zu einer
Telefonzelle.
„Mir ist gerade eingefallen, daß wir
kein Telefon mehr haben“, sagte Nathan.
„Wie kann man sowas vergessen?“ fragte
Julia.
Ja, wie konnte man nur? Es war nicht
mal eine Woche her, seit sie London verlassen hatten, doch sein Zuhause
erschien Nathan schon ganz verschwommen, fast unwirklich. Er mußte sich richtig
anstrengen, um sich auch an ganz gewöhnliche Dinge zu erinnern.
„Ich sage meiner Mutter, daß sie deiner
Mutter Bescheid sagen soll“, bot Julia an.
Julias Mutter war noch im Bett, als das
Telefon läutete. Noch halb im Schlaf und noch unter der Wirkung der Pillen, die
der Arzt ihr zur Beruhigung gegeben hatte, stolperte sie ins Wohnzimmer und
nahm den Hörer ab. „Hallo?“ Vielleicht war es die Polizei. Vielleicht hatten
sie etwas in Erfahrung gebracht.
„Hallo, Mutter? Ich bin’s, Julia.“
„Ich glaub’s nicht, oh, ich glaub’s
nicht. Julia! Wo bist du?“
„Wo ich bin, sag ich dir nicht, aber
mir geht’s gut. Du brauchst dir wegen mir keine Sorgen machen. Du brauchst
wegen mir keinen Nervenzusammenbruch kriegen, Mutter.“
„Julia — komm zurück, komm zurück, sei
ein braves Mädchen.“
„Du willst mich ja nicht wirklich. Du
hast doch jetzt Vince.“
„Und ob ich dich will. Du fehlst mir,
und das ist die Wahrheit.“
Julia kam ins Wanken, doch nur für
einen Augenblick. „Mir geht es gut. Ich hab viel Spaß.“
„Du hast viel Spaß!“ Mrs. Winters
Stimme wurde plötzlich schrill. „Du hast viel Spaß,
Weitere Kostenlose Bücher