Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Auf und davon

Auf und davon

Titel: Auf und davon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Thomas
Vom Netzwerk:
wollten.
    „In welchem Krankenhaus liegt sie denn —
in der Allgemeinklinik?“
    „Ja, genau.“
    „Ja, weiß der Himmel! Stellt euch vor,
da schicken sie die Frau den ganzen Weg hierher für eine Operation. Es gibt
doch so viele Krankenhäuser in London. Das muß man sich mal vorstellen!“ Julia
hielt es für einen Fehler, daß sie gesagt hatte, ihre Mutter sei wegen einer
Operation nach Brighton gekommen, deshalb verbesserte sie sich: „Sie ist nicht
hier operiert worden, sie ist nur da, um sich von der Operation zu erholen.“
    „Und da liegt sie in der
Allgemeinklinik?“
    „Nein, es ist nicht die
Allgemeinklinik, so heißt es nicht. Ich hab den Namen vergessen.“
    „Du machst dir bestimmt große Sorgen um
deine Mutter, aber ich bin sicher, daß sie bald wieder ganz gesund wird. Ist
sie in einem dieser neuen Erholungsheime in Hove?“
    „Ja, genau.“
    „Na, dann geht jetzt mal zu ihr. Ich
bin sicher, daß es ihr gleich besser geht, wenn sie euch beide sieht. Und grüßt
sie bitte von mir. Sagt ihr, Mrs. Parsons wünscht ihr gute Besserung.“
    „Danke, das machen wir.“
    Julia wunderte sich, daß Mrs. Parsons
jedes Wort von ihr zu glauben schien. Lehrer und Mütter waren da ganz anders.
Sie dachten oft, man lügt, selbst wenn man die Wahrheit sagte. Ihr wurde ein
klein wenig unwohl. Es war nicht nett, jemanden anlügen zu müssen, den man
mochte und der einem vertraute. Sie gingen wieder zum Strand. Das Wetter war
genauso schön wie am Vortag, und Julia wollte schwimmen. Schwimmen
interessierte Nathan nicht, er wollte nur Schiffe anschauen. Ohne seine Brille
war das ausgesprochen anstrengend, aber vielleicht würde er sich tatsächlich
daran gewöhnen, wie Julia gesagt hatte.
    Trotz des warmen Wetters nahm Nathan
seinen Anorak mit. Zum einen, weil er ihn fast immer und überall hin mitnahm,
und zum anderen, weil sein Geld immer noch im Futter steckte. Julia hatte ihr
ganzes Geld in die neue Umhängetasche getan. Sie hatte sie so umgehängt, daß
der Riemen schräg über ihre Brust lief, und drückte sie mit einer Hand fest an
den Bauch. „Falls jemand sie klauen will“, erklärte sie.
    Während sie schwimmen ging, mußte sie
die Tasche in Nathans Obhut lassen, aber sie hatte langsam das Gefühl, als
könne sie ihm trauen. Es war ein gutes Gefühl. Sie waren jetzt Kumpel — oder
jedenfalls so etwas ähnliches.
    Die beiden verbrachten den ganzen Tag
am Strand. Wenn sie vom Schwimmen und Planschen müde waren, spazierten sie an
der Uferpromenade entlang und probierten aus, was die vielen kleinen Geschäfte
und Vergnügungseinrichtungen zu bieten hatten. Sie kauften türkischen Honig und
Eis, tranken Cola aus der Dose und holten sich zum Mittagessen jeder zwei Hamburger.
Eine ganze Stunde verbrachten sie vor einem Spielautomaten, bei dem man eine
Münze in einen Schlitz werfen und dann warten mußte, ob ein beweglicher Arm
einen Stapel anderer Münzen in ein Loch schob, durch das sie dann aus der
Maschine herausfielen. Am Ende hatten sie nichts gewonnen, aber es hatte Spaß
gemacht, und vielleicht klappte es ja morgen.
    Es gab eine riesige Hüpfburg aus
Plastik, mit Luft gefüllt, auf der Nathan sich austobte. Julia wollte es auch
gerade ausprobieren, als ihr einfiel, daß sie ja die Sechzehnjährige spielte
und man in diesem Alter wohl nicht mehr auf einer Luftburg herumhüpfte. Sie
beneidete Nathan, aber man konnte eben nicht alles haben.
    Auf dem Heimweg am späten Nachmittag
kauften sie Unterwäsche für Nathan und ein paar Toilettensachen für jeden von
ihnen. Sie erstanden auch ein T-Shirt zum Wechseln für Nathan und eine Bluse
für Julia. Im Schaufenster eines Zeitungskiosks hing ein Plakat mit der
Überschrift „KINDER VERMISST“, aber Julia konnte es nicht lesen, und Nathan konnte
es nicht erkennen, weil es auf der anderen Straßenseite war.
     
    „Wie geht es eurer Mutter?“ fragte Mrs.
Parsons sie auf der Treppe.
    „Ein wenig besser“, antwortete Julia
vorsichtig.
    „Das ist gut. Der Himmel weiß, du
siehst gut aus, Mädchen. Du siehst aus, als hättest du richtig viel Sonne
abgekriegt.“
    Es stimmte, Julia hatte rote Wangen,
und ihre hellen Augen strahlten nach dem wundervollen Tag. „Wir waren am Strand“,
erzählte sie.
    „Das ist gut. War eure Mutter auch
dabei?“
    „Ja, sie ist mitgekommen. Sie sagt, daß
die Sonne ihr gutgetan hat. So könnte sie es wochenlang aushalten, sagt sie.“
    Mrs. Parsons lachte. „Wir haben Glück,
wenn wir wochenlang solches Wetter

Weitere Kostenlose Bücher