Auf und davon
sei
eine gute Krankenschwester.“
„Das war gestern.“
Darauf antwortete Julia nicht. Nathans
Handgelenk war zwar immer noch dick, doch ihr schien, als sei die Schwellung
etwas zurückgegangen. Sie nahm ein frisches Stück Watte und wollte zum Fluß
gehen, um es anzufeuchten, vergaß dabei aber die Zeltleine, stolperte, verlor
das Gleichgewicht und landete unsanft auf der Hüfte. Der Sturz war nicht weiter
schlimm, schlimmer war Nathans schadenfrohes Kichern.
Auf dem Rückweg hatte sie die Zeltleine
schon wieder vergessen und stolperte noch einmal darüber.
„Paß doch auf, wo du hintrittst,
Doofkopf“, sagte Nathan ziemlich unfreundlich.
Die plötzlich aufsteigenden Tränen
ließen Julias Kehle eng werden und drückten auf die Augen. Sie schluckte und
blinzelte, und trotzdem liefen ihr die Tränen über die Wangen. Sie fand es
beschämend, vor Nathan zu weinen, aber sie konnte es nicht ändern. Sie beugte
den Kopf tief über Nathans Arm, als sie die Binde neu wickelte, wußte jedoch,
daß die Tränen, die ihr über die Nase liefen, deutlich zu sehen waren, und
wartete auf eine höhnische Bemerkung. Sie kam nicht. Einen Augenblick herrschte
Schweigen, dann: „Tut mir leid, Julia.“
Julia schniefte. „Was hast du gesagt?“
„Ich hab gesagt, es tut mir leid. Ich
hab mich wie ein Schwein benommen.“
„Ist schon gut“, antwortete Julia
erstaunt. Nathan entschuldigte sich? Es gab doch noch Wunder.
„Hör auf zu heulen.“
„Okay, ich hab aufgehört.“ Um zu
testen, wie weit seine Reue ging, wurde sie gleich ein Geständnis los: „Wir
haben nichts zum Frühstück. Ich hab gestern vergessen, was zum Frühstück zu
kaufen. Nur Brot.“
„Nicht so schlimm.“
„Dann gibt es nur Brot — und
abgekochtes Wasser.“
„Super.“
„Sobald wir einen Laden finden,
besorgen wir Tee und Milch und sonst noch alles.“
„Gut. Abgekochtes Wasser tut es jetzt
auch.“
Kurz nachdem sie ihr kärgliches Mahl
beendet hatten, kam die nächste Krise. „Schau mal da!“ rief Nathan entsetzt und
zeigte den Abhang hinauf zu dem Gatter. Aus dieser Richtung kam zuerst ein
vierbeiniges Tier angetrottet, dann noch eines und noch eines und noch eines...
„Bullen!“ kreischte Julia. Sie wollte
losrennen, aber vor Angst war sie wie gelähmt.
„Kühe“, sagte Nathan, „ich glaub, es
sind Kühe.“ Doch für einen Stadtjungen waren selbst Kühe furchteinflößende
Wesen.
Besonders so viele. Gebannt
beobachteten sie, wie die Tiere nähertrotteten. Unaufhaltsam kam die Armee
junger Kühe auf sie zu.
„Sie bringen uns um“, schrie Julia mit
weit aufgerissenen Augen. „Lauf, Nathan, sie bringen uns um!“ Mit zittrigen
Knien und wild klopfendem Herzen rappelte sie sich auf. Ihre Bewegung stoppte
den Vormarsch der Kühe. Schnaubend und mit den Hufen scharrend, blieben sie
stehen.
Auch Nathan sprang auf und begann zu
rufen und mit den Armen zu rudern. Die Kühe wichen ein paar Schritte zurück.
Nathan stampfte mit den Füßen auf und lief auf sie zu. „Zurück! Zurück!“ Seine
Arme wirbelten, und die Kühe gaben Fersengeld. In wildem Galopp stoben sie den
steilen Abhang hinauf.
„Schau dir das an, Julia“, rief Nathan
lachend, „sie haben Angst vor uns!“
Sie kicherten, ihre Angst verschwand,
und Julia trug das Frühstücksgeschirr zum Fluß, um es abzuwaschen. Als sie zu
den Zelten zurückkam, stellte sie jedoch fest, daß die Kühe wieder
nähergekommen waren. Sie standen jetzt im Halbkreis, schauten die beiden mit
großen, neugierigen Augen an und schnaubten ab und zu.
„Mach, daß sie wieder weggehen“, sagte
Julia nervös zu Nathan.
„Sie tun uns nichts, sie schauen doch
nur. Sie sind neugierig, das ist alles.“
„Ich mag sie nicht“, sagte Julia.
Sie kroch in ihr Zelt, um den
Schlafsack glattzuziehen. Da spürte sie eine dicke warme Nase, die sich durch
die Zeltwand an ihr Gesicht drückte. Sie schrie, und das Stampfen der Hufe
draußen sagte ihr, daß das Tier sich wieder zurückgezogen hatte.
„Sie lassen uns wohl nicht in Ruhe“,
gab Nathan zu.
„Gehen wir“, bat Julia. „Gehen wir
woanders hin. Jetzt. Komm, Nathan.“
„Okay.“
„Der Platz ist sowieso nicht gut. Er
ist zu abschüssig. Wir suchen uns eine ebene Stelle, wo wir die Zelte
aufstellen können.“
„Okay.“
Es dauerte erstaunlich lang, bis sie
ihr Lager abgeschlagen hatten, und zwischendurch mußten sie immer wieder die
Kühe vertreiben. Während sie packten, ging die Sonne auf und tauchte die Wiese
in
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