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Auf und davon

Auf und davon

Titel: Auf und davon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Thomas
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Bach.
    Eine Stunde lang versuchte er, die
winzigen Fische zu fangen, die er im Wasser herumflitzen sah, wenn er sich tief
genug nach unten beugte, und als er dazu keine Lust mehr hatte, watete er ein
gutes Stück durchs Wasser. Seine Schuhe hielt er dabei in den Händen. Er gab
acht, daß er auf den glitschigen Kieseln nicht ausrutschte, und dachte sich
Geschichten aus. Er stellte sich vor, er sei John Ridd aus dieser
Lorna-Doone-Geschichte. Und als er auch dazu keine Lust mehr hatte, stieg er
aus dem Wasser und ging im Gras weiter, und dabei fiel ihm wieder die Schatzinsel ein, und er dachte sich eine
Piratengeschichte aus. Ob er wohl je die Möglichkeit haben würde, die Schatzinsel zu Ende zu lesen?
    Obwohl sie ganz offensichtlich auf
einem Stück Land waren, das zu einem Bauernhof gehörte, war kein Haus in Sicht,
und sie trafen keine Menschenseele.
    Julia mühte sich sehr mit ihrer Leserei
ab. Nathan half ihr am Vormittag wieder eine halbe Stunde lang, doch es ging so
entsetzlich langsam und die Geschichte war so langweilig, daß er bald eine
Ausrede fand, um sich aus dem Staub zu machen. Also arbeitete Julia allein
weiter. Wieder und wieder buchstabierte sie sich durch die Abschnitte, die sie
mit Nathan durchgeackert hatte, bis sie die Worte fließend lesen konnte. Dann
versuchte sie, die nächsten paar Zeilen alleine zu entziffern.
    Am späten Nachmittag kam ein
Landarbeiter aufs Nachbarfeld, um die Kühe zum Melken zusammenzutreiben, und
die beiden versteckten sich im Wald, bis er wieder weg war.
    Nach dem Abendessen ging Julia noch
einmal zum Bach, um die Plastiktüte mit Wasser zu füllen, bevor sie sich
schlafen legten.
    Nathan saß allein auf einem Baumstumpf,
und seine Gedanken wanderten zu dem platten Fahrradreifen. Den ganzen Tag über
hatte er es geschafft, nicht daran zu denken. Würde er sich dem Problem morgen
stellen müssen? Nicht unbedingt. Sie konnten noch einen Tag hierbleiben.
Mehrere Tage. Für immer, wenn es sein mußte. Jemand würde morgen allerdings
Nachschub besorgen müssen, da ihnen die Lebensmittel ausgingen, aber das konnte
Julia machen. Ihr Fahrrad war in Ordnung.
    Nathan holte sein herrliches
Pfadfindermesser und begann ein Boot aus einem Stück Holz zu schnitzen. Während
er arbeitete, merkte er plötzlich, daß er beobachtet wurde. Beunruhigt drehte
er sich um — und da stand ein Mädchen zwischen zwei Bäumen. Das Mädchen war
älter als er selbst, vielleicht zwölf oder dreizehn Jahre, und hatte
durchdringende blaue Augen, kastanienbraunes Haar und eine Million
Sommersprossen. Nathan konnte ihre Miene nicht deuten. Sie lächelte nicht, aber
abweisend schaute sie auch nicht — einfach abwartend, dachte Nathan, und sehr
selbstbewußt.
    „Wer bist du?“ fragte Nathan und
schaute sie finster an.
    „Wer bist du denn?“ fragte das Mädchen.
    „Das ist unser Lager“, erklärte Nathan,
um keine Zweifel aufkommen zu lassen.
    „Und der Wald gehört meinem Vater“,
sagte das Mädchen. „Er mag es nicht, wenn Fremde hier rumstrolchen. Wenn er
dich findet, erschießt er dich sogar wahrscheinlich.“
    Nathan glaubte ihr nicht. „Wen kümmert
schon dein Vater?“
    „Wie du willst“, meinte das Mädchen
ohne jede Gehässigkeit. Ihr Blick wanderte über das Lager, über die Zelte, die
Fahrräder, den Campingkocher und das Geschirr. „Wer schläft in dem zweiten
Zelt?“ fragte sie.
    „Eine Freundin — ich wollte sagen meine
Schwester. Was geht es dich an?“
    „Sei doch nicht so. Ich verrate euch
nicht.“
    „Da gibt’s nichts zu verraten.“
    „Ihr seid ohne Erlaubnis hier.“
    „Also gut — das.“
    „Was gäbe es sonst noch zu verraten?“
    „Nichts.“
    „Was hast du an deiner Hand?“
    „Nichts. Ich bin vom Rad gefallen und
hab mich verletzt.“
    „Wer hat dir den Verband gemacht — deine
Freundin oder deine Schwester?“
    „Meine Schwester.“
    „Du solltest zum Arzt gehen. Der Arm
könnte gebrochen sein.“
    „Er ist wieder in Ordnung. Es tut nicht
mehr weh.“
    „Laß mich mal sehen. Ich kenne mich aus
mit Verletzungen und solchen Sachen. Ich will mal Ärztin werden, wenn ich mit
der Schule fertig bin. Kannst du ihn bewegen?“
    „Klar kann ich ihn bewegen. Warum
verschwindest du nicht?“
    „Gebrochen ist er nicht. Ist das deine
Schwester, die da kommt?“
    „Ja.“ Gott sei Dank, Julia war zurück.
Zu zweit sollten sie in der Lage sein, diesen neugierigen Plagegeist
loszuwerden.
    „Das ist doch nicht deine Schwester.
Sie hat die falsche

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