Auf verlorenem Posten
Mann in ihrer Wut körperlich anzugreifen. Gleich welche Provokation sie dazu verleitet hatte, es hätte sie ruiniert.
McKeon hatte sie aufgehalten, bevor sie zu weit gehen konnte. Er hatte die Blöße erkannt und in die Bresche geschlagen, hatte Hauptmann in die Defensive zurück gedrängt, hatte ihr die Zeit verschafft, zumindest einen Teil ihrer Selbstkontrolle zurückzugewinnen. Sie stand dafür in seiner Schuld – in so tiefer, persönlicher Schuld, daß sie wirklich bezweifelte, sie jemals begleichen zu können. Und deswegen wollte sie ihn beruhigen, ihm sagen, sich keine Gedanken zu machen, seine Läßlichkeit als Eins-O übertünchen.
Doch sie war die Kommandantin eines Kriegsschiffs. Persönliche Gefühle, Dankbarkeit, egal wie tief oder verdient, mußten dahinter zurückstehen. Das mußten sie. Also räusperte sie sich und sprach in weichem, aber unpersönlichen Ton: »Nein, Mr. McKeon. Das waren Sie nicht.« Sie sah, wie er zusammenfuhr, wie seine Schultern sich spannten, und wollte die Hand ausstrecken und ihn berühren. Aber sie tat es nicht. Sie saß einfach da und wartete.
Das Schweigen lastete schwer und beklemmend über ihnen, und McKeon knetete seine Hände im Schoß. Honor konnte ihn atmen hören und lauschte dem Pochen des eigenen Pulses, und immer noch wartete sie. Sie konnte sein Bedürfnis spüren, etwas zu sagen, und wußte, daß er Zeit benötigte, um es auszusprechen. Wenigstens Zeit konnte sie ihm geben, soviel er brauchte.
»Ich weiß, Ma’am«, sagte er am Ende. »Und … es tut mir leid.« Er unterdrückte ein Achselzucken und sah zu ihr auf. »Es ist nicht viel, aber mehr kann ich nicht sagen. Ich habe Sie im Stich gelassen – das Schiff im Stich gelassen –, und es tut mir leid.«
»Aber warum, Mr. McKeon?« fragte sie leise. Er wand sich unter dem Mitgefühl in ihrer Stimme, doch er begriff die Frage. Einen Augenblick lang glaubte sie, er würde vom Sessel aufspringen und davonlaufen, doch das tat er nicht.
»Weil …« Er schluckte und schaute sich im Besprechungsraum um, ohne etwas zu sehen. »Weil ich meinen persönlichen Gefühlen gestattete, meinen Pflichten im Weg zu sein, Ma’am.« Er zwang sich dazu, ihr ins Gesicht zu schauen, als er das zugab, und in diesem Moment war es, als wäre er der jüngere und nicht sie. Der hochgewachsene, kräftige Erste Offizier erschien plötzlich trotz all seiner jahrelangen Erfahrung jung und verwundbar, als er ihr beinahe flehend in die Augen sah, sie fast anbettelte, ihn zu verstehen.
»Als Sie an Bord kamen, sahen Sie so verdammt jung aus«, sprach er weiter, und in seiner Stimme lag elende Selbstverachtung. »Ich wußte, daß Sie sich das Kommando verdient hatten. Gott, ich mußte mir nur Ihre Akte ansehen, um das zu wissen. Doch ich wollte das Kommando so dringend für mich selbst. Ich hatte nicht das Rangalter dafür –.« Er brach ab und lachte rauh.
»Wahrscheinlich werde ich nie das Rangalter haben. Ich bin Nullachtfünfzehn, Ma’am, ein Arbeitstier, mehr nicht. Die Sorte, die sich nicht traut, die Finger auszustrecken, weil sie Angst hat, sich zu verbrennen. Aber, Gott, ich wollte dieses Schiff! Mehr, als ich mir gegenüber jemals zugegeben habe. Und dann kamen Sie – fünf Jahre jünger als ich und bereits ein hyperraumtüchtiges Kommando hinter sich, marschierten Sie frisch vom TLF weg durch die Luke und trugen das weiße Barett, das ich wollte.«
Seine Hände, die er immer noch im Schoß hielt, ballten sich zu Fäusten, und dann erhob er sich tatsächlich. Wie ein gefangenes Tier schritt er in dem engen Besprechungsraum auf und ab. Honor spürte seine Qual und Selbstverdammung. Sie konnte sein Elend beinahe als einen Nebel sehen, der ihn wie eine Giftwolke umgab, doch sie widersetzte sich dem plötzlich aufkommenden Verlangen, seinen Monolog zu unterbrechen, ihn aufzuhalten oder gegen sich selbst zu verteidigen. Das durfte sie nicht tun. Er selbst mußte es sagen – für sie war es wichtig, daß er es sagte, sonst bestand überhaupt keine Hoffnung, daß sie die Barrieren zwischen ihnen jemals wirklich überwanden.
»Von diesem Augenblick an habe ich Sie gehaßt.« Seine Stimme echote gedämpft von der Wand zurück, gegen die er sprach, den Rücken Honor zugewandt. »Ich habe mir eingeredet, es wäre anders, doch ich haßte Sie. Und es wurde nicht besser, es wurde von Tag zu Tag schlimmer. Es wurde schlimmer, wenn ich sah, wie Sie etwas richtig machten und ich bemerkte, daß ich mir wünschte, Sie begingen einen
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