Auf zehn verschlungenen Wegen einen Lord erlegen
er Isabel die Wahrheit hätte sagen können.
Was er aber nicht getan hatte.
Weshalb es ihm nur recht geschah, dass er sie verloren hatte.
Und auf einmal zählte nur noch das.
Ironie des Schicksals, dass er Leightons unseligen Auftrag angenommen hatte, um London und den Leserinnen dieses dummen Journals zu entkommen. Heerscharen alberner junger Damen, die ihm aus den völlig falschen Gründen nachstellten. Auf diese Art Drama konnte er gern verzichten.
Und dann war er ausgerechnet hier gelandet, in einem Haus voller Frauen in Männerkleidern, die sich vor Entführern versteckt hielten, vor rachsüchtigen Herzögen und wer weiß wem noch alles. Ging es noch dramatischer?
Würde er es nicht am eigenen Leib erleben, fände er die ganze Sache geradezu kurios und würde sich prächtig amüsieren. So indes nicht.
Mittelpunkt des ganzen Theaters: Isabel – stark, klug, entschlossen. Seine Boadicea. Schön und leidenschaftlich. Anders als alle Frauen, die er je gekannt hatte.
Es gab so viele Gründe, sie zu bewundern. Sie zu mögen. Sie zu begehren.
Sie zu lieben .
Der Gedanke ließ ihn erstarren.
War es möglich, dass er sie liebte?
Angst machte sich breit. Bislang war es ihm gelungen, der Liebe aus dem Weg zu gehen. Für andere mochte Liebe genau das Richtige sein, aber nicht für ihn. Er hatte Frauen erlebt, die sich der Liebe als Waffe bedienten. Seine Mutter beispielsweise, die seinen Vater zerstört hatte. Schlimmer noch: Er wusste, was geschah, wenn er sich selbst von der Liebe versuchen ließ. Wie bei Alana, seiner türkischen Geliebten, die sich seiner Gefühle bemächtigt und ihn wie eine Marionette nach ihrem Willen hatte tanzen lassen. Geradewegs ins Gefängnis hatte ihn das gebracht, und zwar wortwörtlich.
Wenn er eines gelernt hatte, dann das: Erlaubte er sich, Isabel zu lieben, nähme das kein gutes Ende.
Er könnte die Flucht ergreifen. Jetzt gleich, das war seine Chance, sie und diesen ganzen Wahnsinn hinter sich zu lassen. Er könnte nach London zurückkehren, zu seinen Antikenstudien, seinem Klub, seiner Familie. Alles ginge wieder seinen gewohnten Gang, und er würde die Zeit in Yorkshire bald vergessen haben.
Nur wenn er jetzt sein Londoner Leben bedachte, das ihm einst so abwechslungsreich und reizvoll erschienen war, fand er es auf einmal seltsam fad und unbefriedigend. Etwas würde fehlen. Isabels Sturheit beispielsweise, und ihre spitze Zunge. Ebenso ihre wunderbar weichen Lippen, ihre wilden rotbraunen Locken.
Ganz einfach: Sie würde ihm fehlen.
Entschlossen marschierte er zum Stalltor, blieb dann ob der späten Stunde unschlüssig stehen.
Er sollte sie in Ruhe lassen.
Vielleicht war sie gerade eingeschlafen.
Lockende Bilder einer aus dem Schlaf erwachten Isabel geisterten ihm durch den Kopf, einer bettwarmen Isabel in weichen Daunen, die ihn aus schläfrigen Augen anblinzelte, ihn willkommen hieß … Eine Versuchung, der er nicht widerstehen konnte.
Er wollte sie.
Und er würde sie bekommen.
Sei’s drum, wenn er sie dazu wecken musste.
Sie schlief, als er sich in ihr Zimmer schlich. Noch immer in Breeches und Leinenhemd hatte sie sich auf dem Bett zusammengerollt. Nachdem er gegangen war, hatte sie die Kerzen brennen lassen. Fast alle waren inzwischen erloschen, zu einer Wachspfütze erstarrt, doch zwei brannten noch – eine neben dem Bett, eine an der Tür – und tauchten ihre schlafende Gestalt in warmes Licht.
Leise schloss Nick die Tür hinter sich, wohl wissend, dass er gerade die schlimmste aller Verfehlungen beging, indem er sich ohne ihr Wissen und ohne ihre Einwilligung in ihr Schlafzimmer schlich. Doch das hielt ihn nicht davon ab, sich an ihr Bett heranzupirschen, um sie im Schlaf zu beobachten.
Mit angezogenen Beinen lag sie auf der Seite, das Gesicht zur Tür und zum Licht, die Arme um sich geschlungen und die Hände geballt, als wolle sie sich vor wilden Ungeheuern schützen, die im Dunkel der Nacht lauerten.
Ungeheuern wie ihm.
Er verdrängte die unschöne Erkenntnis, richtete sein Augenmerk stattdessen auf ihr Gesicht, sah sich satt an dieser Frau, die sein ganzes Leben auf den Kopf gestellt hatte. Sie war so schön, ihre Lippen weich und sinnlich, die lange, gerade Nase und die hohen Wangen von feinen Sommersprossen übersät. Fasziniert betrachtete er die kleinen braunen Sprenkel, Zeugnis ihrer Arbeit an der frischen Luft – und wieder ein Beispiel dafür, wie sehr sie sich von allen anderen Frauen unterschied, die er je gekannt
Weitere Kostenlose Bücher