Auf zehn verschlungenen Wegen einen Lord erlegen
mich suchen würde, aber ich hätte nicht gedacht, dass er mich so schnell findet.“
Isabel drückte ihre Hand. „Ich wusste es auch, doch es hat nichts daran geändert, dass Sie unter diesem Dach willkommen sind …“, sie lächelte freudlos, „… oder vielmehr unter dem, was vom Dach noch übrig ist. Sie stehen unter meinem Schutz. Und dem des Earl of Reddich.“
„So sehr ich den Earl auch schätze, Isabel, glaube ich doch nicht, dass er gegen meinen Bruder viel wird ausrichten können.“
„Mein Bruder scheint seine Gouvernante ins Herz geschlossen zu haben. Er würde sich frohen Mutes für Sie in jede Schlacht stürzen.“
Da musste Georgiana schmunzeln. „Ich mag ihn auch sehr. Und ich werde mich immer rühmen können, den Earl of Reddich Latein gelehrt zu haben.“
Sie lächelten einander an, ehe Georgiana fortfuhr. „Und wegen Lord Nicholas …“
Im Nu war Isabel ernüchtert. „Ich werde ihn fortschicken.“
„Das sollten Sie nicht.“
Isabel traute ihren Ohren nicht. „Wie bitte?“
„Er ist ein guter Mann, Isabel. Hätte ich nicht meinen Bruder all die Jahre über St. John reden hören, als sei er ein wahrer Held, hätte ich nicht die Damen sehnsüchtig seufzen hören, dass er endlich von seinen Reisen heimkehren möge, hätte ich nicht ihren Respekt gespürt, als seine Schwester nach London kam und er stolz an ihrer Seite stand, obwohl der halbe ton sich ganz schrecklich über sie mokierte – wäre all das nicht gewesen, so hätte ich es doch heute gewusst, als er mich meinem Bruder hätte ausliefern können, mich jedoch zu Ihnen hat zurückkehren lassen.“
Das Herz wurde Isabel schwer bei diesen Worten, die so trefflich den Mann beschrieben, für den sie ihn gehalten hatte. Vielleicht war er ja seinen Freunden, seiner reizenden Schwester treu ergeben, war ein guter Fang für die Damen des ton , die nur sein Äußeres und sein nicht minder attraktives Vermögen sahen. Aber für sie war er nicht der Richtige, das hatte er heute bewiesen.
Wieder brannten ihr Tränen in den Augen. Sie bannte sie mit einem raschen Blinzeln. „Da muss es sich wohl um einen anderen St. John handeln. Denn der, den ich kenne, ist ein Schuft, der unser Vertrauen schändlich missbraucht hat.“
Mein Vertrauen. Meine Gefühle .
„Ich glaube, er wollte meinem Bruder nur einen Freundschaftsdienst erweisen.“
Isabel schüttelte den Kopf. „Das entschuldigt ihn keineswegs. Er hat nichts unversucht gelassen, sich mein Vertrauen zu erschleichen. Lord Nicholas ähnelt nicht einmal entfernt jenem ehrenwerten St. John, den sie mir eben beschrieben haben.“
Und wenn man vom Teufel spricht … Plötzlich war er da, an der Tür ihres Zimmers, die Georgiana offen gelassen hatte. „Ich bedauere, dass Sie so schlecht von mir denken.“
Isabel stockte der Atem, als sie ihn dort stehen sah, seine hohe, stattliche Gestalt, dunkel umrissen im hellen Rechteck der Tür. Seine Gegenwart brachte einen Ansturm der Gefühle mit sich: Wut, Verrat, Misstrauen, aber auch Trauer und etwas, das schier unerträglich war.
Sehnsucht .
Ihrem Gefühlsaufruhr zum Trotz versuchte sie, ruhig und gefasst zu klingen. „Ich traue meinen Augen kaum. Nach allem, was geschehen ist, nahm ich doch an, Sie hätten mein Haus längst verlassen.“
Seine Miene konnte sie im Gegenlicht nicht ausmachen, doch sah sie ihn unter ihren Worten erstarren. „Ich muss mit dir reden, Isabel.“
„Pech nur, dass ich nicht mit Ihnen reden will, Mylord.“
Sichtlich ungehalten trat er ins Zimmer.
„Und nachdem Sie mich erst hintergangen haben, wollen Sie mich nun noch brüskieren? Auf der Stelle verlassen Sie mein Schlafzimmer!“
Er richtete sein Augenmerk auf die junge Frau, die neben ihr saß. „Lady Georgiana, wenn Sie uns bitte allein lassen würden. Lady Isabel und ich haben etwas zu klären – unter vier Augen.“
Georgiana saß kerzengerade da, ganz hochwohlgeborene Dame. „Das ist mir leider nicht möglich, Mylord.“
„Sie haben mein Wort, dass ihr nichts geschehen wird.“
Isabel lachte bitter. „Als ob Ihr Wort Gewicht hätte.“
„Ich kann deine Wut verstehen, Isabel. Lass es mich bitte erklären.“ Wieder wandte er sich an Georgiana. „Ihr passiert nichts, versprochen. Wir werden heiraten.“
Georgiana blieb ob dieser Ankündigung der Mund offen stehen, und Isabel war fassungslos vor Wut.
Wie kann er es wagen!
„Werden wir nicht“, beschied sie aufgebracht.
Er schaute sie an, und sie wünschte, sein Gesicht sehen
Weitere Kostenlose Bücher