Auf zwei Planeten - Ungekürzte Ausgabe in zwei Büchern
Er las das Blatt jetzt durch, einmal, zweimal. Es handelte von der sogenannten ›Bestrafung‹ von Podgoritza in Montenegro. Diese Stadt war tatsächlich von den Martiern dem Erdboden gleichgemacht worden. Allerdings hatte man den Einwohnern Zeit gelassen, sie zu räumen, aber nicht alle hatten gehorcht; da waren die Nume zum erstenmal auf der Erde schonungslos vorgegangen und hatten ohne Rücksicht auf Menschenleben ihre Drohung ausgeführt. Es waren wohl einige hundert Personen dabei umgekommen, wütende Männer, die sich den Luftschiffen entgegengeworfen hatten. Aber warum war dieses ungewöhnliche Strafgericht ergangen? Es war kurz nach der Unterwerfung der westeuropäischen Staaten gewesen, als ein großes Luftschiff der Martier, das von einer wissenschaftlichen Expedition zurückkam und zum Zweck einer kleinen Ausbesserung in der Nähe von Podgoritza anlegte, in der Nacht unvermutet von bewaffneten Bewohnern der Stadt und Umgegend überfallen worden war. Die Martier waren überrascht und bis auf den letzten Mann, zum großen Teil im Schlaf, niedergemacht worden. Es war der einzige Verlust, den die Nume bisher auf der Erde erlitten hatten und die Empörung in den Marsstaaten war ungeheuer. Man war nahe daran, die ganze Menschheit für die Bluttat unzivilisierter Albaner verantwortlich zu machen. Etwas Derartiges war den Martiern bisher undenkbar gewesen; und so wurde bestimmt, daß die Strafe ausnahmsweise nach menschlicher Art, das heißt durch Vernichtung des Gegners, vollzogen werde, weil man glaubte, sonst bei der barbarischen Bevölkerung keinen Eindruck zu erzielen. Diese Handlungsweise der Martier wurde nun in Europa ausgebeutet, um sie in üblem Licht darzustellen.
Aber warum machte die Tat auf Torm einen so tiefen Eindruck? Immer und immer wieder beschäftigte ihn die Frage, welches Schiff es wohl gewesen sei, von dem kein Lebender zu den Martiern zurückkehrte. Und eine Vermutung stieg in ihm auf, an die er kaum zu glauben wagte.
46. Kapitel – Der Kultor der Deutschen
»Unmöglich, Herr Kultor, unmöglich«, sagte der Justizminister Kreuther, indem er seine hohe Stirn mit dem Taschentuch tupfte. »In dieser Form, welche der Reichstag dem Gesetzentwurf zum Schutz der individuellen Freiheit gegeben hat, ist er für uns unannehmbar. Sie müssen das selbst zugeben. Es würden die Paragraphen 95 bis 101 des Strafgesetzbuches hinfällig werden.«
»Und was schadet dies?« fragte der Kultor kühl. Er lehnte sich bequem in seinen Stuhl zurück und ließ seine großen Augen ruhig von einem der beiden ihm gegenübersitzenden Herrn zum andern wandern.
Der Justizminister blickte ihn fassungslos an. Sein Begleiter, der Minister des Innern, von Huhnschlott, richtete sich gerade auf und zerrte an seinem grauen Backenbart.
»Was das schadet?« sagte er mit mühsam zurückgehaltener Empörung. »Das heißt, die Majestät schutzlos machen, das heißt, jeder pöbelhaften Gemeinheit einen Freibrief ausstellen, das heißt, unsre heiligsten, angestammten Gefühle angreifen und die Autorität untergraben.«
»Sie irren, Exzellenz«, antwortete der Kultor mit einem überlegenen Lächeln. »Es heißt nur, die Wahrheit festlegen, daß die Majestät ebensowenig durch Äußerungen anderer beleidigt werden kann, wie die Vernunft überhaupt, daß die sittliche Persönlichkeit dadurch nicht berührt wird. Die Verleumdung bleibt strafbar wie jede Schädigung, und die Autorität ist genügend geschätzt durch die Unverletzlichkeit der Person der Fürsten. Wir können es aber als keine Schädigung der Person erachten, wenn jemand ohne seine Schuld lediglich beschimpft wird. Das ist eben die Grundanschauung, die wir durchführen wollen, daß es keine solche Beleidigung gibt, daß die Injurie nicht denjenigen verächtlich macht und in der öffentlichen Meinung herabsetzt, den sie treffen soll, sondern denjenigen, der sie ausspricht. Wir erstreben mit diesem Gesetz, einen Teil unsres allgemeinen Erziehungsplanes durchzuführen. Die Menschen sollen lernen, ihre Ehre allein zu finden in dem Bewußtsein ihres reinen sittlichen Willens, und sie sollen verachten lernen den äußern Schein, der dem Schlechten ebenso zugute kommt wie dem Ehrenmann. Wir wollen die Erziehung zur innern Wahrheit, indem wir den Schutz des Gesetzes dem entziehen, was dazu verleitet, die Ehre im Urteil oder Vorurteil der Menge zu sehen. Alle unsre Maßregeln, die volkswirtschaftlichen wie die ethischen, haben nur das eine Ziel, den Menschen das höchste
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