Aufbrach aus der nacht (Liebesromane) (Tagebücher der Dunkelheit: Band 3) (German Edition)
gelang es ihm langsamer in die Erinnerungen hineinzufallen ... oder sie sogar auf Abstand zu halten. Manchmal.
Aber er musste darauf vorbereitet sein. Und deswegen war er in dieser Gasse da hingefallen, er hatte nicht damit gerechnet, das alte Auto anzufassen, und das war es gewesen, was ihn in die tiefe, dunkle Grube gezerrt hatte.
Ein recht angenagtes Buch lag neben ihm auf dem Boden und er streckte die Hand danach aus, nachdem er einen Handschuh abgestreift hatte. Ruhig und gelassen, ganz bei sich und konzentriert, hob er es hoch. Die Erinnerungen und Bilder zupften an ihm, aber er hielt sie von sich weg, stemmte sich gegen das bunte Gewirr am Rande seiner Wahrnehmung.
Aber eine schlüpfte dennoch durch die Barriere: ein lachendes Mädchen, vielleicht so um die zehn; ihr blondes Haar zu Haarzöpfchen gebunden, ihre Hände strichen glättend über den Bucheinband, schoben es dann in etwas Dunkles, Abgeschlossenes – einen Rucksack – und die Erinnerung drohte ihn mit sich fortzureißen ... aber Quent beherrschte den Impuls und zwang sich die Wand vor ihm mit ihren Rissen anzuschauen. Realität. Die alte Steckdose, verrostet und schimmlig. Ein kaputtes Tischbein. Seine abgewetzten, dreckigen Wanderstiefel.
Und er atmete tief ein und aus, als er das Buch wieder auf dem Boden ablegte.
Es wurde einfacher.
Wenn es nur mit dem Rest auch so wäre.
Er blickte zu Zoë, die gerade die duftende Mahlzeit in zwei flache Schüsseln schaufelte.
Ihm brannte immer noch die Wut im Bauch. Wut, Schock, Verrat. Tief in ihm war etwas fast erstickt, als er sie heute Morgen beobachtete hatte, wie sie ihre Habseligkeiten aufsammelte.
Er hatte erwartet, dass sie es versuchen würde, aber hatte gehofft, sie würde es nicht tun. Er hatte es mit einer solchen Inbrunst gehofft, dass – als er sie tatsächlich die Tür öffnen sah, ohne einen Blick zurück – er sie fast hätte ziehen lassen.
Aber nein. Sie war die erste echte Chance für ihn seinen Vater wirklich zu finden – sie kannte sich in der Gegend offensichtlich gut aus und sie war auf der Suche nach Raul Marck. Ein Kopfgeldjäger hätte Verbindungen zur Elite und auch Mittel und Wege, um mit ihnen in Kontakt zu treten. Und das war genau das, was Quent brauchte.
Einen Zugang zur Elite. Einen Weg sie zu finden. Zu erfahren, wo sie lebten – und wo er Fielding aufspüren könnte.
Aber sonst brauchte er absolut scheiß gar nichts von ihr.
Nicht mehr.
Sie hatte ihren Standpunkt unmissverständlich klar gemacht.
Zoë ging jetzt auf ihn zu und bot ihm eine der Schalen sowie einen Löffel an. Dann lief sie weiter. Hinaus in Richtung eines ehemaligen Schlafzimmers. Quent sammelte seine Handschuhe wieder ein und kam auf die Beine, er war einverstanden mit ihrem Vorschlag in einem etwas größeren Raum zu essen.
„Das ist sehr gut“, sagte er, nachdem er sich neben einem alten Bett niedergelassen und einen ersten Löffel voll gegessen hatte, immer noch ohne Handschuhe – er testete sich selbst gerade mit dem Löffel zwischen seinen Fingern. Konzentrierte sich auf den Geschmack, den Geruch, seine Umgebung. Das Kitzeln der Erinnerungen knabberte am Rande seines Bewusstseins, aber er konnte sie auf Abstand halten und nach einer kurzen Weile gaben sie auf und ließen ihn in Ruhe essen.
Ein kleiner Sieg. Aber dennoch, ein bedeutender.
Mit dreißig hatte Quent in den besten Restaurants der Welt gespeist, die Crème de la crème der Köche hatte ihn bekocht und er hatte sogar selber ein paar Versuche in seiner eigenen Küche gestartet, als er eine recht interessante Woche mit Soulange Putenade als Gespielin verbrachte, die als der nächste Escoffier gefeiert wurde, die aber verdammt viel hübscher war als das Original. Ebenso hatte er an den schrecklichsten Orten gegessen – auf Haiti, in der Wildnis von Nepal, in den Bergen von Peru und in den Dörfern von Kambodscha und Zimbabwe. Alles – von mopane Würmern über Schlangenfleisch bis hin zu momos . Und größtenteils hatte er es auch alles genossen, insbesondere die nepalesischen momos .
Aber vielleicht nicht ganz so sehr wie dieses köstliche Essen hier. In diesem heruntergekommen Haus. Mit der Frau ihm gegenüber.
Zoë hatte zum Dank für sein Kompliment genickt, während sie zu seiner Linken im Schneidersitz dasaß, von wo aus sie aus einem schmutzigen Fenster rausschauen konnte. Die Sonne war schon fast untergegangen, aber ein großer Lichtstreif wanderte
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