Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Aufbruch - Roman

Aufbruch - Roman

Titel: Aufbruch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
Vom Netzwerk:
Kleider mit trotzigem Genuss.
    Leise Musik setzte ein, und die Mutter schien sich in den Schultern zu dehnen, leichtfüßig schwenkte sie vorbei an den spiegelnden Kühltruhen mit Fett und Fleisch, Fisch und Filet; an Dosensäulen mit Milch von glücklichen Kühen, Käsetürmen und Würstchen in Plastikfolie; Burgen von Rotwein und Weißwein und Mumm: »Folg den Linien Deiner Hand, trink MM, zeig Sektverstand« und »Henkell - für des Lebens schönste Stunden«. Krippen mit Möhren, Tomaten, Salaten, Gemüse in allen Farben und Arten; Kerzen, Kosmetik, Konfekt. »Sag Ja zum Meer - sag Ja zu Sel.«
     
    Wie verloren die Dose Hering in Tomatensoße in dem geräumigen Gittergestell auf Rädern aussah. Die Mutter legte noch eine dazu. Und eine Flasche Hohes C.
    »Maria«, Frau Hings, den Einkaufswagen hochbeladen, trat uns in den Weg, griff eine Dose aus dem Regal und hielt sie uns entgegen. »Has de dat schon mal probiert?«
    »Pilzrago-ut«, entzifferte die Mutter. »Nä, dä Josäff mag keine Pilze.«
    »Dann musse sisch dran jewöhne. Pilze«, deklamierte Frau Hings, »sind dat Fleisch des Waldes.«
    »Aber dat hier.« Die Mutter zeigte auf eine Dose Leipziger Allerlei. »Mit Sparjelstücke.«
    Ein Blick in den Einkaufswagen gab Auskunft über den Lebensstandard einer Familie, einer Person. Sozusagen aus den Regalen griff man seine soziale Stellung und fuhr sie anschließend vor aller Augen spazieren, führte vor, was man sich leisten konnte, mit Spargel oder ohne. Die Artikel aus den Regalen ließen erkennen, auf welcher Sprosse des Wirtschaftswunders man angekommen war.

    Die Mutter hob ein Komtess-Hähnchen aus der Kühltruhe, käsig blaugefroren in Plastik, wog das harte, blasse Tierchen in der Hand: »Dat muss dä Schäng nit mi köppe. 42 Aber sieben Mark, nä!«
    Die Mutter legte das Hähnchen zurück ins Eis. Frau Hings nahm eins mit. »Jeht so fix«, sagte sie, »macht kein Arbeit, keine Dreck und immer janz weisch.«
    Am Kaffeeständer wurde die Mutter schwach. »Aktion!«, lachte eine silbrig ondulierte Dame, die ihr Mündchen einer dampfenden Tasse entgegenspitzte. Die Mutter legte zwei Päckchen in den Wagen, ging vorbei an einem Ständer mit »Alles Gute für ihr Kind«, vorbei an Gerber Kinderkost und Deo Fix und Kitekat. Ging zurück und stellte ein Paket WürzigeHochlandmischung wieder auf den Stapel. Griff nach einer Dose Nivea Creme. Ihre schwielige Hand mit den rissigen Nägeln sprach dem Rüschenrand der blauen Organzabluse, die aus dem Ärmel des Kostüms herausschaute, Hohn.
    »Nivea«, sagte ich, »auch Lateinisch. Heißt ›die Weiße‹. Gibt schöne weiße Haut.«
    »Nivea«, die Mutter zog die Bluse über ihre Hände. »Hatten die denn schon Nivea?«
    Frau Hings stand vor uns an der Kasse. Ihre Karre randvoll. Die Mutter machte noch einmal kehrt und kam mit einer Dose Leipziger Allerlei zurück.
    »Ohne Spargel?«, tadelte Frau Hings zwischen zwei Handgriffen, mit denen sie die Ware ablegte. Sogar mit Salzstangen, Erdnüssen, Kröver Nacktarsch und Liebfrauenmilch hatte sie sich eingedeckt.
    »Jibt et wat zu feiern?«, fragte die Mutter.
    »Ach wat«, antwortete Frau Hings beiläufig, »die knabbern mir abends beim Fernsehen. Heut abend jibet doch wieder Die Familie Hesselbach !« Frau Hings verdrehte die Augen.
    Die Kassiererin, keine aus dem Dorf, sah kaum auf. Langte mechanisch, ganz so, wie ich es von Maternus gewohnt war,
nach den heranströmenden Gegenständen, schaute, tippte den Preis ein, und weg, schauen, tippen und weg, bis die Karre leer war und der Stauraum hinter der Kasse überquoll.
    »Sechsundfünfzig achtzig«, erklärte die Kassiererin , die ganze Autorität des Unternehmens im Rücken.
    Die Mutter zuckte zusammen. »Sechsundfünfzig achtzig«, wiederholte sie flüsternd, den Silben nachschmeckend wie einer selten genossenen Speise. »Dat ist bald so viel, wie dä Papp freitags nach Haus bringt.«
    Frau Hings war noch lange nicht fertig, den Warenberg in Einkaufstasche und Netz zu verstauen, als ihr die Kassiererin ein zweites Mal den Betrag, mahnend und mit einiger Ungeduld, zurief. Schließlich waren Tasche und Netz gefüllt, doch Knabberkram, Käse und eine Dose geschälte Tomaten lagen noch immer unverpackt da.
    »Napoli.« Frau Hings hob die Dose an die Nase, schnupperte, als genösse sie den sommerlichen Duft. »Da waren mir vorijes Jahr, dä Jupp un isch.«
    »Eine Tüte, fünf Pfennig!«, tippte die Kassiererin gleichmütig ein, unbeeindruckt von Hings’schen

Weitere Kostenlose Bücher