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Aufbruch - Roman

Aufbruch - Roman

Titel: Aufbruch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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sich als Dr. Konrad Knabe herausgestellt hatte. Nirgends sonst schrieb ich so begeistert mit und fühlte mich zu ausschweifenden Kommentaren herausgefordert. Auf dem Papier. Nur für mich. Hätte ich nur nicht in stolzen Druckbuchstaben meinen vollen stud. phil. Namen auf den Deckel gemalt!
    Mein erster Weg am Montagmorgen führte ins Germanistische Seminar. Das Ringbuch war da. Nichts fehlte. Nichts deutete daraufhin, dass jemand darin geblättert hatte.
    Im nächsten Eichendorff-Seminar am Ende der Woche warf ich einen Blick in die Gesichter meiner Nachbarinnen. Doch wenn eine von ihnen das Heft abgegeben hatte, maßen sie der Sache keine Bedeutung bei. Zudem wussten sie nicht, wie ich hieß.
    Da rief Knabe, gleich nachdem unser Knöcheltrommeln verebbt war, meinen Namen. Nie zuvor hatte er einen der Anwesenden direkt angesprochen. Suchend kreiste sein Blick über unsere Köpfe. Einfach wegducken? Doch dann siegten Neugier, Eitelkeit, Ehrgeiz - oder am Ende doch nur Gehorsam, jedenfalls hob ich wie in der Schule den Finger und sagte: »Hier!« Was ich, noch ehe ich den Mund wieder schließen konnte, bereute. Die bange Silbe versetzte sämtliche Köpfe im Hörsaal 18 in die Richtung dieses zaghaften präkonsonantischen Anlaut-Hs mit Langvokal.
    »Nun, Fräulein Palm«, Knabes Stimme hatte ihren dozierenden Tonfall verloren, das Schwäbische ließ seine Anrede gemütlich, privat, fast nebenher erscheinen, als habe er mich gerade in der Mensa oder auf der Straße getroffen. »In der letzten Sitzung habe ich gesagt, dass das Auftreten derselben Figuren, Motive, Szenerien nicht aus der Notwendigkeit der Geschehensführung zu erklären ist, sondern nur als die Anwendung allgemein gebräuchlicher Topoi anzusehen ist. Sie sind da anderer Meinung?«
    Das war unerhört! Professoren und erst recht nicht ihre Assistenten fragten je nach einer Meinung. Schon gar nicht
in einem Proseminar. Sie fragten nach Fakten. Ihre Aufrufe waren Rufe nach Wissen: Welche Strophenform liegt hier vor? Was ist ein Hysteron-Proteron? Was ein Hendiadyoin? Und nun wurde mir nicht nur eine Meinung, eine Gegenmeinung wurde mir unterstellt!
    Murmeln, Flüstern im Raum. Knabe hatte sich bemüht, die Frage so beiläufig wie möglich klingen zu lassen; seine dunklen Augen blickten aufmunternd auf mich herab.
    »Schauen Sie doch mal in Ihrem Ringbuch nach!« Knabes Lächeln wurde noch breiter. Vorwitzig, scheinbar anteilnehmend, beugte sich meine Nachbarin zu mir herüber.
    Das also war es. Knabe hatte mein Ringbuch gefunden, zumindest darin gelesen. Und dabei festgestellt, dass dicke Balken und Kreuze einzelne Sätze seiner Vorträge hervorhoben; daneben Bemerkungen der Art: »Ich bin anderer Meinung.« Oder »Nein!« oder »Prüfen! Knabe beachtet Zusammenhang nicht. Dagegen Stellung nehmen. Bedeutung der Dämmerung nicht beachtet. Stimmt nur bedingt.«
    »Nun, Fräulein Palm, wir warten!« Wieder begleitete schwirrendes Gemurmel Knabes Worte, diesmal drängender. Ich war zu meiner ersten akademischen Äußerung gerufen. Einem Widerspruch wider Willen. War ich doch hier, um zu lernen, Wissen anzuhäufen, mich zu rüsten. Welcher Teufel hatte mich geritten, meine Ansichten nicht nur in Form von Doppelstrichen und Andreaskreuzen auszudrücken, sondern wortwörtlich? Allerdings: Nur für mich! In meinen Notizen. Anderer Meinung zu sein als der Professor oder auch nur der Oberassistent: Niemals hätte ich das laut geäußert. Nicht einmal im Kreis der Kommilitonen, wenn mich denn jemand gefragt hätte. Ich fühlte mich ertappt. Ne eijene Kopp. Kinder mit nem Willen kriejen wat auf de Brillen. Ich machte den Mund auf, doch gleichzeitig schlugen die Zähne aufeinander, meine Meinung, mein Widerwort knurrte in mir wie Hunde im Zwinger. Meine Nachbarin, eben noch wie in Freundschaft mir zugeneigt, zog sich zurück. Das Gemurmel verebbte.

    Knabe räusperte sich. »Tut mir leid, Fräulein Palm, wenn ich Sie mit meiner Frage überfallen habe. Eine Meinung zu haben, ist auch im Hörsaal nicht verboten. Nur begründen können muss man sie.« Knabe machte eine Pause. »Fahren wir fort. Ich komme nun zur Funktion der Verseinlagen als Kompositionselemente. Dem dargestellten Geschehen wird durch die Lieder ein komprimierender Schlussakzent aufgesetzt …«
    Knabes Stimme hatte wieder ihre professorale Distanziertheit angenommen, Gesicht und Stimme wieder von dieser Welt. Erleichtert sah ich, wie sein Zeigefinger gegen sein Kinn klopfte, und spürte, wie meine Kiefer

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