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Aufbruch - Roman

Aufbruch - Roman

Titel: Aufbruch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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Häusern alte Stühle, Packen
geschnürter Zeitungen, einen Nachttisch mit schiefhängender Tür, Säcke mit Kleiderlumpen. Sah, wie Menschen, einige mit Handwagen, die Gegenstände an den Straßenrändern fachkundig musterten, gelegentlich etwas aufluden oder geringschätzig wieder fallen ließen. Plötzlich hatten die Bücher das verlorene Aussehen von Leuten, die endgültig in der Gosse gelandet sind. Bedrucktes Papier.
    Ohne die Ausgesetzten eines zweiten Blickes zu würdigen, lief ich vorbei, aber die Bücher liefen mit, verfolgten mich wie in Goethes Gedicht die Glocke den flüchtigen Kirchgänger. Hätte ich nicht doch reinschauen müssen? Ich rannte zurück. Der Karton war weg.
     
    Seinen Cordsamtrücken kehrte er mir zu, der Mann an der Kiste vor Buches Buchladen. Während ich tat, als prüfte ich das Buch in meiner Hand, schielte ich zu dem Leser nebenan, suchte zu erspähen, was er so angelegentlich durchblätterte. Sage mir, was du liest, und ich sage dir, wer du bist. In fremden Wohnungen zog es mich zuerst an die Bücherregale, wenn es welche gab. In Bus und Bahn konnte ich nicht davon ablassen, den Buchtitel der Nachbarn zu erforschen oder nach ein paar Sätzen auf den Inhalt zu schließen.
    »Bitte sehr«, plötzlich kitzelte mich ein vertrauter Geruch in der Nase, dieser unverwechselbare Geruch alter Bücher, die lange in feuchter Kälte gelegen haben, ein Geruch, der anzeigt, Rettung ist nötig, Stockflecken drohen.
    Ich musste niesen.
    »Entschuldigung.« Die Hand hielt das Buch nun so, dass ich den Titel bequem lesen konnte: »Das wollten Sie doch wissen. Versteh ich.«
    » Welcher Stein ist das ?«, las ich laut. » Tabelle zum Bestimmen der wichtigsten Mineralien, Edelsteine und Gesteine .« Ich musste lachen.
    »Was gibt es denn da zu lachen?«, fragte der Mann irritiert. Er war älter als alle in der Klasse, älter sogar als Clas.

    »Hier«, ich reichte ihm mein Buch.
    » Verwitterte Steine «, ließ er sich amüsiert vernehmen, »Ben van Eysselstein.«
    Eben noch rechtzeitig merkte ich, dass er damit den Namen des Verfassers, nicht aber seinen eigenen meinte, und hielt mein »Hilla Palm« gerade noch zurück. Die Stimme war schon beim Klappentext: »Also: Hören Sie! ›Dies ist die Geschichte reicher holländischer Bauern, die seit Jahrhunderten auf ihren Höfen sitzen. Ihre Herzen werden zu Stein. Im Mittelpunkt des Buches steht eine junge Frau. Sie versucht, der Enge des Elternhauses zu entfliehen und folgt dem Mann, den sie liebt, in die Stadt. Doch sie wird in der Fremde nicht glücklich.‹« Der Mann ließ das Buch zusammenknallen. Es klang verächtlich. »Ts, ts, ts, nicht glücklich, na, so was. Geld macht also nicht glücklich. Was gibt’s denn da schon wieder zu lachen?«
    »Steine«, lachte ich, »so viele Steine auf einmal. Und so ein schreckliches Deutsch.«
    »Ach so, ja.« Auch der Fremde musste nun lachen, ein männliches, erwachsenes Lachen. Er stand da wie auf einer Campari-Reklame, längliches, blasses Gesicht, graue Augen, Grübchenkinn, ein schmaler Mund, der sich leicht und gern spöttisch verzog.
    »Da ziehe ich meine Steine aber den Ihren vor! Feldspat, Nephrit, Zirkon, Chrysoberyll, Korund, Diamant. Alles nur eine Frage der Härte. Tja, gut ist, was hart macht. Was meinen Sie?«
    »Naja«, sagte ich, »wenn aber das Herz hart wird?« Welche Härte hatte ein Buchstein, ein Lachstein? Bestimmt war der Wutstein knallhart.
    »Jetzt lachen Sie schon wieder«, sagte mein Gegenüber. »Wissen Sie was? Ich lade Sie zu einer Cola ein. Darf ich Ihnen dieses Buch schenken?«
    Alles, was ich hörte, war: ein Buch schenken! Hätte ich doch bloß ein anderes in der Hand gehabt, den Echtermeyer zum Beispiel, achthundert Seiten deutsche Gedichte aus nahezu
tausend Jahren, sogar Ingeborg Bachmann schon drin. Zu spät. Prüfend fasste ich den Spender ins Auge. Der nahm mir das Buch aus der Hand, ergriff die meine und führte sie bis fast an die Lippen, hielt sie in den Fingerspitzen und verkündete: »Godehard van Keuken. Gehn wir.«
    Van Keuken klinkte die Tür zum Buchladen auf, nickte mir zu - war mir jemals eine Tür aufgehalten worden?
    »Fräulein Palm!«, rief der Buchhändler und: »Herr van Keuken!«, kniff die Augen zusammen, als blende ihn eine Erscheinung. »Wenn das keine Überraschung ist!«
    Van Keuken und ich tauschten einen Seitenblick.
    »Die beiden? Zweimal Steine. Hmhm, mal fürs Herz, mal für den Kopf. Und dass man Sie auch wieder einmal lachen sieht, Herr van

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