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Aufbruch - Roman

Aufbruch - Roman

Titel: Aufbruch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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Keuken! Einpacken?«
    Van Keuken sah mich fragend an. Ich schüttelte den Kopf.
    »Auf Wiedersehen, Herr van Keuken! Bis morgen, Fräulein Palm!« Buche hielt uns die Tür auf. Für mich allein hatte er das noch nie getan. War da wirklich ein Anflug von Ehrerbietung in seiner Stimme?
    In der Milchbar bestellte Keuken eine Cola für mich, und für sich verlangte er - wirklich, er trank Campari, und nun fehlte nur noch ein bisschen Sonnenuntergang. Und auch der dämmerte an diesem frühen Nachmittag in der Riesdorfer Milchbar allmählich romantisch herauf, je länger ich dieser Stimme folgte. Er wohne in Köln, besuche aber oft seine Großtante hier in Riesdorf, erfuhr ich, doch was spielte das für eine Rolle, solange er mir in die Augen sah, wie mir noch niemand in die Augen gesehen hatte, ein Blick, der mich auf Zehenspitzen stellte, schweben ließ, furchtlos, sicher gehalten, wie hätte ich mich vor Jahren nach einem solchen Blick von Sigismund gesehnt! Geologie studiere er, gerade habe er ein Referat geschrieben - sollte er, solange seine Augen mir sagten, wie schön ich war, wie begehrenswert.
    »Amphibole Doppelketten bei den Pyroxenen«, wiederholte ich träumerisch und nuckelte an meiner Cola.

    Dennoch schüttelte ich den Kopf, als er mich nach Hause fahren wollte. Ich hatte ihm erzählt, dass wir ein eigenes Haus bewohnten, hatte den grünen Daumen des Vaters gerühmt, der eine Position bei Krötz und Ko. innehabe.
    Meine Ablehnung schien seine Gefühle zu beflügeln. »Hilla«, sagte er vor der offenen Bustür, »ich darf doch Hilla sagen? Und auf bald!« Der Fahrer hupte. Ich stieg ein. Türen schließen automatisch.
    Der Bus fuhr an. Ich zog das Buch aus der Tasche. Legte es vor mich hin, betrachtete es, streichelte es, vorsichtig, vorsichtig mit den Fingerspitzen wie ein schlafendes Lebewesen, das jederzeit aufspringen könnte, auf und davon. Kein Buch lag da, da lag ein Wunder. Nicht bitten müssen hatte ich und nicht danken.
    Bitten hieß eingestehen, dass etwas fehlte. Zu groß meine Angst, man könne mir meine Bitte abschlagen. Jlöv jo nit, dat de jet Besseres bes.
    Wie beneidete ich Monika um dieses Bittenkönnen. Monika, die mit einem Augenaufschlag und einem Lächeln die Erfüllung ihrer Bitte zur Auszeichnung machte. Monika, die sich um nichts zu bemühen schien, die mit einem Lächeln, einem Blick den Kellner in der Milchbar dazu brachte, das Eis an den Rändern des kugeligen Löffels nicht wie üblich - und wie bei mir - zurück in den Behälter, sondern großzügig noch in ihren Becher zu stopfen; wie ein Augenaufschlag genügte, und Alois Fromm legte ihr seine Lateinübersetzung zu Füßen . Sogar Astrid verstand es besser als ich: Sie konnte wenigstens fordern. Wie auch immer, bitten oder fordern: Beides setzte das Eingeständnis eines Mangels voraus. Hilfe annehmen konnte ich, bitten konnte ich nicht.
    Das Buch sah zerlesen aus. Verwittert. Verwitterte Steine . Nie hätte ich dafür Geld ausgegeben. Ich schlug es aufs Geratewohl auf: »Bernier öffnete das Kästchen. Auf weißem Satin ruhte ein Collier aus glatten goldenen Gliedern, zwischen denen dunkelviolette Steine funkelten. ›Amethyste‹, sagte Onkel Frederic. ›Der Stein des Bischofsrings. Sie besitzen das reine Blau des Himmels und das trübe Feuer unserer Leidenschaften. Sie
enthalten beides. Es sind Steine des Schmerzes und der Läuterung - und der Hoffnung auf Gnade. So ist das ganze Leben, mein Junge.‹« Das ganze Leben. Das trübe Feuer unserer Leidenschaften. Ich grinste. Nicht mit mir.
     
    Zu Hause saßen Bertram, Mutter und Großmutter noch am Küchentisch vor einem Päckchen Schwarzbrot, einem Stück Graubrot, Rübenkraut, Käse und Mettwurst.
    »Nabend.«
    Gemurmel antwortete mir. Ich setzte mich neben Bertram auf die Bank.
    »Amo«, nuschelte der.
    »Amas, amat«, antwortete ich laut und vergnügt.
    Der Bruder stupste mich in die Rippen. »Du strahlst aber«, sagte er, »alles gutgegangen in Mathe?«
    »Mathe? Äh ja, sehr gut.«
    »Wo wars de so lang«, murrte die Mutter, »hier is Wurst un Käs. Dä Tee is schon kalt. Weiß de schon, dat et Pihls Resi jestorwe es? Jester Owend. Et hat nit jelitten, sacht der Doktor.«
    Klang die Stimme der Mutter enttäuscht? Sie liebte die Einzelheiten des Sterbens, die näheren Umstände, die zu dem letzten Aus führten, der unwiderruflichen Bestätigung ihres Glaubenssatzes: Dat dicke Äng kütt noch.
    Resi Pihl. Ich trat dem Bruder unterm Tisch ans Bein. Der nickte. Um den

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