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Aufbruch - Roman

Aufbruch - Roman

Titel: Aufbruch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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ihn über Eck, rechts, links und gerade; schwangen ihn auf die Leine, und die Mutter schnappte die Klammern auf die Schnur; wortlos arbeiteten wir Hand in Hand; den großen Wäscheteilen folgten Hosen und Hemden,
Taschentücher zuletzt. Mit jedem Griff verschwand die Mühe ein bisschen weiter aus der Arbeit, wandelte sich Arbeit in Spiel. Wir brachten die Stücke zum Fliegen. Sogar die Mutter fand Gefallen an der Zauberei aus dem Korb auf die Leine; ihre Züge entspannt, übermütig fast, die Klammern zwischen den Lippen wie mutwillige Fühler vorgestreckt. Anmutig, beinah tänzerisch bewegte sie sich, flog auf Zehenspitzen zum Korb und zurück, streckte sich, dehnte sich, pflückte Hemdchen und Hosen von meinen Händen wie luftigen Schaum, ein seidiges Nichts, das sich schwerelos auf die Leine schwang, wo es des lustigen Zugriffs zweier Holzstäbchen harrte, begierig erbebte, ehe die Klammern aus den Zähnen der Mutter die Schnur, je länger wir unser Spiel mit ihr trieben, in immer schwerfälligeres Schaukeln versetzte. Ganz anders sah die Mutter aus hier im eigenen Garten bei der Arbeit für sich und die Familie, nicht, wie auf der Krankenkasse, wo sie dem Dreck anderer Leute hinterherputzte.
    Dann war der Wäschekorb leer. Und als die Mutter sich leichthin aus der Hüfte heraus mir zuwandte, die Rechte überm Kopf an einen Hosenboden auf der Leine geklammert, die Linke nach dem nächsten Wäscheteil ausgestreckt, stand ich mit leeren Händen da.
    »Fädisch?« Die Mutter spuckte die letzten Klammern in den Beutel, band den schlaffen Tuchsack ab und warf ihn in den Korb. Sie klang enttäuscht.
    Ich klaubte eine Klammer aus dem Gras und warf sie zu den anderen. Die Mutter hielt einen Moment inne, ließ die Augen über die Leine schweifen, dann bückte sie sich ächzend wie am Anfang nach dem Korb, wollte ihn vor die Brust heben; aber ich griff ihn beim Henkel an einer Seite, so, dass sie am anderen Ende zugreifen musste, und wir hoben den Korb gemeinsam hoch, trugen ihn in den Waschstall, schwangen ihn ein wenig hin und her, ließen die willmütige Leichtigkeit auspendeln. Als wir den Korb am Murpott absetzten, war das Spiel vorbei.

    »Du häs doch en Uhr an«, sagte die Mutter. »Wie spät dann? Isch muss mesch beeilen. Wat koch isch hück bloß? Dä Papp kütt jlisch heem.«
    »Un die Oma?«, fragte ich verdutzt. »Kocht die dann nit?«
    »Die is beim Zahnarzt«, gab die Mutter brummig Auskunft. »Dat Jebiss sitzt nit rischtisch.«
    »Aber wir haben doch noch von jestern«, versuchte ich zu ermuntern.
    »Jo, jo. Ävver die Ääpel müsse jeschält wäde, un dä Salat aus dem Jarten jeholt und jewäsche und jemacht werden, und Zupp is auch zu wenisch und auch nit jenuch Fleisch.« Die widerwillige Aufzählung machte jeden einzelnen Handgriff zur unzumutbaren Mühe.
    »Dann essen wir eben nur Kartoffeln mit Soße«, schlug ich vor. »Un den Salat mach ich.«
    »Du? Wat fällt dir ein? Dat is Frauenarbeit. Jeh du bei deine Bööscher.«

    »Bis zum Maternus has de doch noch ne Woch Zeit«, sagte die Mutter. »Warum besuchs de nit mal dat Maria. Dat has de doch seit de nach Kölle fährst, nit mehr jesehen.«
    Die Mutter nickte der Möhre, die sie mit einem Küchenmesser bearbeitete, aufmunternd zu, schaute kurz zu mir herüber, schob die Unter- über die Oberlippe und konzentrierte sich mit energischem Schaben wieder aufs Gemüse.
    »Hier«, sie reichte mir eine Tüte, »die kanns de der Tante mitnehmen. So viele Möhren könne mir nit esse. Wenn isch hier fertisch bin, komm isch nach. Der neue Katalog ist da.«
    »Is jut, Mama.« Ich klemmte die Tüte auf den Gepäckständer, überlegte sekundenlang sogar, der Mutter, die in der Küchentür stand, zuzuwinken, ließ es aber bleiben. Zu ungewohnt und übertrieben.

    Die Hitze war sengend; ein Geruch nach heißem Metall hing in der Luft, am Horizont zogen Gewitterwolken auf. Dondorf war Stadt geworden. Der verträumte »gepflegte Ort am Rhein«, wie es auf dem Poststempel hieß, war aufgewacht und streckte sich in alle Richtungen. Jetzt, da ich dem Ort den Rücken kehren wollte, sprangen mir die Veränderungen der letzten Jahre geradezu ins Auge.
    Vorbei am Rathaus radelte ich und am Gänsemännchenbrunnen; Blumenbeete und Rasen hatten dem Busbahnhof weichen müssen. Eine breite Straße verlief, wo einst am schmalen Pfad Disteln gewachsen waren, mit denen Mitschülerinnen auf dem Nachhauseweg meine Kniekehlen gequält hatten. Dort gab es nun, was eine Stadt so alles

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