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Aufbruch - Roman

Aufbruch - Roman

Titel: Aufbruch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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seinen Oberkörper zu und schaute über das weiße Taschentuch zu mir herüber. Ich blickte zwischen meine Füße, meine schmuddeligen Turnschuhe und dachte: Der Vater sagt, du ziehst nach Köln. Er zieht nach Köln, sie zieht nach Köln. Ich nicht.
    Er wandte sich von mir ab. »Dir kann mer et ävver och nit rät mache«, knurrte er, und diesmal fielen Klang und Sinn zusammen.

    »Jo, un wer soll dat bezahle?«
    Verblüfft horchte ich der Frage nach, angewidert vom grämlichen Tonfall meiner eigenen Stimme und den Wörtern, die sie da aneinanderreihte.
    »Du sprischs jo wie de Mamm«, sagte der Vater. »Isch denk, du wills do hin.«
    »Ja«, gab ich zu. Jetzt, da die Möglichkeit zur Wahrscheinlichkeit wurde, dehnte sich ein Gefühl des Unbehagens in mir aus, als hätte ich großmütig ein Versprechen gegeben, etwas zu beweisen, zu leisten, das meine Kräfte überstieg.
    »Also«, der Vater stand auf, tat einen Schritt zur Seite auf mich zu und setzte sich wieder, zur einen Hälfte auf das weiße Taschentuch. »Die Eifeler Tant is tot …« Der Vater machte eine Pause.
    Die Tant is tot, die Tant is tot, sang es in meinem Kopf. Bloß nicht noch mehr Kindergeschichten.
    »Sach aber nix dä Mamm.«
    »Dat weiß die Mama doch auch«, gab ich zurück und ließ die Füße hin und her pendeln.
    »Dat ja.« Die Stimme des Vaters hatte einen geheimnisvoll listigen Klang angenommen.
    »Ävver vun dem Sparbooch weiß se nix.« Ein krächzendes Geräusch aus der Kehle des Vaters schreckte mich auf, ein Keuchen, einem widerwilligen Kichern nicht unähnlich.
    »Na, wat jlaubs de? Wie viel is et?« Im unbestimmten Schatten der Bäume beugte sich der Vater weit über das weiße Taschentuch hinaus zu mir herüber.
    Ich zuckte die Achseln.
    »Nu rat doch mal!«, beharrte der Vater.
    Ich wollte kein Spielverderber sein. »Tausend Mark?« Was ging mich das Sparbuch der Eifeler Tant an.
    Versonnen blickte der Vater auf den Rhein. Oder sah er in den Himmel? Beinah verklärt sah er aus, so, wie der junge Kaplan, wenn der die Hostie hob am Altar.
    »Tausend? Nä! Jenau viertausendneunhundertundachtzig Mark und fuffzig Penne waren da drauf.«

    Na und, dachte ich.
    »Un die jehören mir!«
    »Nä!« Unwillkürlich rückte ich näher, bis an den Rand des weißen Taschentuchs.
    Umständlich erklärte der Vater, wie ihn die Stattliche, die Freundin der Tant, auf deren Beerdigung beiseitegenommen habe. Die Tant hatte ihre kleine Rente nicht gebraucht und regelmäßig aufs Sparbuch eingezahlt. Sie, die Freundin, brauche dieses Geld nicht. Die Tant habe oft und gut von ihm gesprochen. Sicher sei es in ihrem Sinne, wenn sie, Edith, ihm das Angesparte aushändige.
    »Et wor hinter denen ihrem Hühnerstall«, der Vater hielt die Augen geschlossen, wieder war er in einer anderen Welt. »Die Diersche waren aufgerescht. Do oben waren Habischte in de Luft. Die hatten do unten schon aufjeräumt. Da macht die Frau die Handtasch auf un zieht en Kuwehr eraus. En dick braun Kuwehr, so jroß.«
    Der Vater umriss ein schulheftgroßes Rechteck. »Un su deck.« Zwischen Daumen und Zeigefinger der Linken eine stumpenbreite Luft.
    »Isch dän Umschlag en de Anzugstasch, innen bei dä Invalidenausweis.« Der Vater klopfte sich an die Brust und stampfte den dicken Fuß in den Sand; die feinen Körner stoben auf und bedeckten das dunkle Leder mit grauem Glitzer.
    »Davon weiß die Mamm nix.« Aus den Augen des Vaters leuchtete unverhohlener Triumph. Ich hatte aufgehört, seine Worte in ihre grammatikalischen Bestandteile zu zerlegen und hörte wirklich zu. Hörte zu, gespannt wie in der Aula, wenn der Professor Hölderlins letzte Gedichte auf Wahnsinnsspuren untersuchte.
    »Un tausend davon krieschs du. Wenn de noh Kölle tricks. Du ziehst nach Köln!«
    Der Vater strich die Länge lang über seine Krawatte, als striegele er ein treues Pferd nach scharfem Ritt zur Belohnung.
    Ich rückte von dem weißen Taschentuch ab. Auch mit diesem Vater wusste ich nichts anzufangen. Er war mir fremd, beinah
so unheimlich wie der kleine Josef im Mist. Der Vater war doch einer, gegen den ich kämpfen musste. Der mich bestenfalls übersah. Nur einmal, damals in Köln, war es anders gewesen. Aber gesprochen hatte der Vater auch dort kaum mit mir. Nie hatte ich ihn so lange reden hören wie heute. Tausend Mark wollte er mir geben. Einfach so? Was wollte er dafür von mir?
    »Dann müsse mir nit schon widder eine Antrag stelle.« Wieder wirbelte ein Fußtritt des Vaters Sand auf, er

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