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Aufbruch - Roman

Aufbruch - Roman

Titel: Aufbruch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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trat ein paarmal nach und schüttelte das Bein, bis die Körner von Schuh und Hosenbein herabrieselten.
    »Un wat Neues zum Anziehe kaufe mir dir auch noch.«
    Der Vater stand auf, streifte das Taschentuch von dem Erlenstamm, stampfte ein paarmal auf der Stelle, Sand knirschte unter seinen Sohlen, und wandte sich zum Gehen.
    Auf dem Pfad blieb er noch einmal stehen und suchte meinen Blick. Im Blätterflirren der Bäume sah sein sonnengesprenkeltes Gesicht dünn und verloren aus. Ein ganzes Semester lang hatte ich geübt, den Blicken meiner Gesprächspartner nicht auszuweichen. Die Lider nicht zu senken, vielmehr so lange es mir beliebte, mein Gegenüber anzusehen, ohne diesem zu gestatten, in meinen Augen zu lesen.
    Der Vater wandte sich ab: »Erzähl nix dä Mamm.« Er wirkte wieder alt und niedergeschlagen, die Narbe zuckte.
    »Weißt du denn, warum dat Schilf niemals still ist?«, brach es aus mir heraus. Die Binsen hatten schon violette Rispen entfaltet, große lockere Ähren, die der Wind so seidenweich zärtlich bewegte, dass ich wegschauen musste.
    »Nä«, knurrte der Vater und zischte das Weidenstöckchen ans Hosenbein.
    »Früher gab es einen König, Midas hieß der. Der hatte Eselsohren. Das durfte aber keiner wissen. Doch der Barbier, der den König jeden Morgen rasieren kam, wusste dat natürlich. Eines Tages musste er dat Geheimnis einfach mal aussprechen. Da ging er hin und grub ein Loch in die Erde und flüsterte alles rein. In dat Loch. Dann konnt er leicht wieder den Mund halten.
Aus dem Loch wuchs dann dat Schilf und dat flüstert Tag und Nacht von den Eselsohren vom König.«
    »Un dat jlaubs du?«, knurrte der Vater. »Steht dat in deine Bööscher?« Und nach einer Pause: »Lerns de dat op dr Universität? Es dat dann nötisch, dat mer dat weiß?«
    »Nä«, sagte ich, »aber schön. Oder?« Ich konnte ja selbst nicht sagen, warum sich diese seltsame Geschichte aus mir herausgesponnen hatte. Als wollte der Wind mir zur Hilfe kommen, fuhr er noch einmal in den Verbund aus Schilf und Rohrkolben und stieß Binsen und Rispen in einem hellen hochtönenden Sausen zusammen.
    »Hörs de?«, fragte ich.
    »Et es wärm.« Der Vater zog das weiße Taschentuch hervor und wischte sich Stirn und Nacken. Aber den Hut nahm er nicht ab.
    Still legten wir den Weg auf den Damm zurück, wo wir kurz zuvor noch so übermütig gepfiffen hatten.
    An der Böschung blieb der Vater stehen. »Lauf schon vor«, sagte er, trat zur Seite und machte eine auffordernde Handbewegung. »Du bis schneller. Dat hier«, er legte die Hand aufs Herz, »macht nit mehr so rischtisch mit.«
    Froh, dem Dankesagen zu entkommen, rannte ich los, sah mich nicht einmal um, bis ich atemlos auf dem Damm stand.
    Mit seinem schwerfüßigen, unsteten Gang kam der Vater bergauf nur langsam voran. Er sah verbraucht aus, was nicht nur an dem zu langen Mantel lag, den der Wind auseinanderwehte. Seit ich zurückdenken konnte, trug er im Sommer diesen Mantel. Matt, müde, kleiner geworden schien der Vater, wie er mit hängenden Schultern zu mir heraufstapfte, den Kopf, wie es seine Gewohnheit war, nach unten und zur Seite gebeugt.
    Ich rieb mir das Bild des Vaters aus den Augen, öffnete sie und sah über ihn hinweg.
    Zurück nahmen wir den Umweg durch die Kämpen, an Kirchberg, Burg und am Friedhof vorbei, wo wir kaum jemandem begegneten.

    Erst als uns der Wind den Duft der Linde vor Piepers Laden entgegentrug, brach der Vater das Schweigen. »Die Linde«, sagte er, »ist der einzije Baum, der erst im Juni blüht. Alle anderen sind damit im April oder Mai schon fertisch. Dat de aber auch nix dä Mama sachst.«
    »Bestimmt nit.«
    »Un auch dem Bertram nit.« Der Vater warf das lustige Stöckchen, das er auf dem ganzen Weg mit sich getragen hatte, in den Rinnstein.
    Die Mutter stand am Gartentor und winkte. Winkte Trappmanns Tring hinterher, die uns feixend entgegenradelte.
    »Isch wollt mal nach dem Maria sehen«, sagte sie, vom Rad abspringend, »isch hab mir Sorjen jemacht. Eusch zwei so allein auf der Straße.«
    Ohne die Frau eines Blickes zu würdigen, war der Vater weitergegangen. Schadenfroh lachte ich ihr ins Gesicht und folgte ihm.
    »De Muul opzedunn han die wall nit nüdisch«, schimpfte sie hinter uns her, ehe sie sich auf den Sattel wuchtete.
    Die Mutter trug ihren Sonntagskittel, rosa mit grün-weißen Margeriten, ihr Gesicht gerötet wie das der Freundin.
    »Wat soll dat dann? Hatt ihr se noch all?« Die Mutter zog ein gekränktes Gesicht

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