Aufbruch - Roman
nicht geben«, zwinkerte er. »Hier sehen Sie.«
Buche entnahm dem Buch einen postkartengroßen Zettel: »Ich erkläre, dass ich volljährig bin und Jean-Paul Sartres Die Mauer nur für meinen ausschließlichen Privatbedarf erwerbe. Ich werde das Buch auch nicht an Jugendliche weitergeben oder ausleihen. Ort und Datum. Unterschrift.«
Einundzwanzig musste man sein, um dieses Buch lesen zu dürfen. Ich streckte die Hand aus. Buche zog das Buch zurück. »Nun, wie hat Ihnen der Schinken gefallen? Dieser Holländer?«
Buche lachte. »Oder nein, warten Sie: Böll. Der hat es doch wirklich in sich, oder? Dass der Rebmann sich traut, das in der Schule durchzunehmen!«
»Ganz gut«, beschied ich den Buchhändler knapp, »der Böll, meine ich.«
Er hatte Die Mauer auf ein kleines Podest vor die Neuerscheinungen gestellt.
»Dann eben nicht.« Pikiert wandte ich mich zur Tür. Nicht einmal den Reclam-Heften schenkte ich noch einen Blick.
»Warten Sie. Ich soll ihn anrufen, wenn Sie wieder hier sind«, rief Buche mir nach. Ich blieb stehen.
»Den Keuken. Verstehn Sie denn nicht? Kommen Sie, kommen Sie«, drängte er, »nehmen Sie den nächsten Bus. Wenn er bei seiner Tante ist, ist er gleich da. Sie wohnt hier um die Ecke.«
Der Buchhändler griff zum Hörer. »Ja?« Eilfertiges Nicken ins Telefon, dann zu mir herüber. »Sehr schön!« Wieder musterte mich Buche mit diesem Blick, den die Großmutter für Pastoren und Kapläne bereithielt, einen Blick, mit »Hochachtungsvoll« und »In Verehrung« unterschrieben. Was so ein Knusperhäuschen doch ausmachte.
Klopfte mein Herz? Es klopfte. Doch unter Buches Argusaugen tat ich, als klopfe nichts. Nahm Die Mauer vom Podest, ohne dass er protestierte, schon funktionierte das Knusperhäuschen auch für mich, und blätterte darin, suchte nach Wörtern, Wörtern für unkeusches Tun und Streben, Wörtern, für das Urteil: nicht jugendfrei.
»Hilla, endlich!« Godehard stand da, kariertes Hemd, grüne Strickjacke, Bluejeans, wie auch Clas sie trug, »Nieten in Nietenhosen« hatte im Fernsehen ein Reporter die Träger beschimpft. In der Hand eine Rose. »Hilla!« Ich war aufgesprungen, hatte die Gefahr erkannt, dass er vor mir in die Knie gehen würde, nicht einmal Buche hätte ihn daran gehindert, und so standen wir voreinander, Godehard mit der Rose, ich mit Sartre. Den er mir aus der Hand nahm und die Blume hineinlegte.
» Die Mauer , aha«, sagte er, »ist das nicht für kleine Mädchen verboten, Herr Buche?« Godehard reichte ihm das Buch. »Schreiben Sie es zu den anderen. Die Karte können Sie rausnehmen. Wie alt ich bin, wissen Sie ja. Kommen Sie Hilla, das müssen wir feiern.«
»Wie? Was?«, stammelte ich verwirrt.
»Unser Wiedersehen! Was denken Sie denn?« Godehard ergriff meine Aktentasche, hielt mir die Tür auf.
Mein Herz klopfte nicht mehr. Bei Sigismund war das anders gewesen. Da hatte es erst recht losgehämmert, wenn er da war. Aber das Zehenspitzengefühl war wieder da, mindestens zwei Zentimeter über den Dielen des Buchladens schwebte ich hinter Godehard zur Tür hinaus.
Himmelblau blank machte sein Wagen Sehnsucht nach Sonne und Sommer an diesem verhangenen Vorfrühlingstag. Noch war es zu kalt, das Verdeck herunterzufahren. Ich kuschelte mich in den Sitz.
»Musik, Hilla?«, fragte er und drückte einen Knopf, ohne meine Antwort abzuwarten. Geige und Klavier spielten miteinander, umeinander, gegeneinander, aneinander vorbei und wieder zusammen. Ich genoss die Musik, die bequemen Polster, genoss den Blick auf Godehards blaubetuchte Beine, die Manschetten unter der Jacke. Genoss es, nicht reden zu müssen. Abrupt wie er es eingeschaltet hatte, machte Godehard das Radio wieder aus, mitten in einem romantischen Umschmiegen von Klavier und Geigenton. Ich fuhr auf.
»Ich schlage vor, wir fahren nach Altenberg«, sagte er, »ich kenne da ein kleines Lokal. Das Richtige zum Anstoßen. Auf unser Du. Sie haben doch hoffentlich Zeit, nach all den Tagen, die ich auf Sie gewartet habe.«
Es waren genau drei gewesen. Doch Godehards Stimme duldete keine Widerrede. Nicht, dass er etwas befohlen hätte, nicht einmal überreden wollte er mich, es kam ihm gar nicht in den Sinn, dass man seine Vorschläge ablehnen könnte. Warum auch? Ich rutschte tiefer in den Sitz hinein. Wie gut, dass ich mich
nicht nur mit Latein, sondern auch mit dem Einmaleins des guten Tons auf das Leben als Aufbaugymnasiastin vorbereitet hatte.
Beträchtliches hatte ich hier schon für das
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