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Aufbruch - Roman

Aufbruch - Roman

Titel: Aufbruch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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Kolleginnen vor. Nestoria, wenig älter als ich, schüttelte auf die Frage nach ihrem Zuhause nur den Kopf. Elena, Mitte zwanzig, Athenerin, war mit ihrem Mann in Deutschland, ohne Arbeitserlaubnis. Nur zur Probe eingestellt. Elpida, eine ernste Dreißigerin, machte kaum den Mund auf; ihr fehlte ein Vorderzahn. Sie war überglücklich, als wir ihr versicherten, der werde ihr in Deutschland ersetzt. Kostenlos.

    »Jetzt sach mir nur noch eins«, Lore fasste Elephteria beim Arm, »was habt ihr, was haben mir denn da vorhin gerufen?«
    Elephteria wurde rot. »Ich nix wissen auf Deutsch.«
    »Arbeit nix gut, Heimat gut«, übersetzte Elena mit einem beschwörenden Seitenblick auf ihre Landsmänninnen.
    Nestoria schaute zu Boden. Ob Elephteria oder Elpida verstanden hatten, war ihrem Nicken nicht zu entnehmen.
    »Rescht habt ihr«, sagte Lore. »Et jibt wirklisch Besseres als die Scheißarbeit hier. Ab nach Hause. Zu Hause ist es am schönsten.«
    Nie zuvor hatten wir diese Halle so beflügelt verlassen. Nicht einmal damals, als wir den Prokuristen in die Flucht geschlagen hatten. Diesmal hatten wir nicht gekämpft. Wir hatten gespielt. Mit denen da oben. Und gewonnen. Vier neue Kolleginnen.
    Danach arbeiteten unsere griechischen Kolleginnen in den Pausen nie wieder durch. Der Meister hatte sie in dem Glauben gelassen, sie würden pro Schachtel und nicht nach Stundenlohn bezahlt. »Ob hundert oder hundertfuffzisch so ne Dinger«, erklärte Lore energisch, »dat Jeld bleibt datselbe.«
    Bei der nächsten wöchentlichen »Löhnung« verglichen wir vor dem Werkstor unsere Lohnstreifen. Dass man die nicht unter Verschluss hielt wie ein Bankgeheimnis: Das war neu.
    Der Meister kapierte. Das Band von jetzt an im Takt der Mehrheit. Wir waren uns einig. Alle gegen einen. So lief das Spiel. Dam. Dam.

    Es war ein angenehm warmer Augusttag, die Hundstage vorbei, und der Wind vom Rhein wehte frisch herüber. Lore sah jung aus auf dem Fahrrad, als lasse sie mit jeder Umdrehung der Räder ein paar Arbeitsjahre hinter sich.
    Von weitem hätte man die Holzhäuser für Viehställe halten können, wäre nicht der Zaun gewesen, der die langgestreckten
Gebäude umschloss. Die Baracken waren ein beinah verrufener Ort. Seit nicht nur Männer dort untergebracht waren, hatte man zwar einiges verbessert, doch wer hier wohnte, blieb fremd in der Fremde. Etwa hundert Meter vor unserem Ziel gabelte sich der Weg: Frauen rechts, Männer links. Wie zu Kabinen im Freibad.
    Hinter Glas thronte am Eingang der Pförtner: »Hausmeister F. Schnittke«, so das Schild auf seinem Schreibtisch. An der Wand unübersehbar die Hausordnung. Ordnung und Sauberkeit.
    »Gründlisch läse!«, forderte Meister Schnittke nach einem kurzen Kopfnicken, das als Begrüßung gelten sollte. Dass nicht gespuckt werden dürfe, las ich, keine Zigarettenreste oder Unrat herumliegen dürften, las ich, eigene Einrichtungsgegenstände nur mit Genehmigung des Hausmeisters eingebracht werden dürften, das Anbringen von Bildern und dergleichen nur mit Zustimmung des Hausmeisters zulässig sei, eventueller Besuch von Familienmitgliedern (weiblich) und Betriebsangehörigen (weiblich) der Lagerverwaltung sofort anzuzeigen sei. »Diese müssen das Haus bis spätestens 20: 00 Uhr verlassen. Besuche ohne Genehmigung des Hausmeisters dürfen nicht empfangen werden. Männlicher Besuch ist nur im Hausmeisterbüro gestattet.«
    Schnittke war ein mächtiger Mann. Und so benahm er sich auch. Fragte kurz angebunden, zu wem wir wollten und dass wir eigentlich den Personalausweis zeigen müssten, aber wir seien ja Deutsche, und »disch kenn ich doch«, ließ er sich sogar zu einem Lächeln für Lore herab. »Na, dann viel Spaß, die drei Mädsche kenn isch. Die Jriesche sin de Beste. Mache am wenigste Dreck un Jedöns.«
    Der Hausmeister strich sich ein paar durchschwitzte Strähnen aus der Stirn. Mein Blick blieb unter der Achsel seines dunkelblauen kurzärmeligen Hemdes hängen; der grau auslaufende schweißige Halbmond sah aus wie diese Schaumablagerungen, die entstehen, wenn der Rhein blasig über den Sand spült.
    »Ordnung und Sauberkeit«, er wies mit dem Daumen auf die Wand hinter sich, »dat kann mer denen jar nit oft jenuch sagen.
Hier bei de Frauen is et ja nit so schlimm. Aber wat jlauben Sie, wat mer bei dä Kääls ze sinn kritt.«
    Ich blickte zu dem Männerlager hinüber. Von hier also war er damals gekommen, mein Mädchenschwarm. Federico in seinem himmelblauen Anzug, den

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