Aufbruch - Roman
hier nicht mehr fremd.«
»Was Deutsch?«, wehrte sie ab. »Ich arbeite, dann Geld, dann zurück zu Kinder.«
Elephteria holte ein messingfarbenes Gefäß aus ihrem Wandschränkchen, ähnlich einer Gießkanne mit Deckel, hantierte geschickt mit Kaffeebohnen, Kaffeemühle, goss Wasser ans frisch gemahlene Pulver und brachte die Kanne zum Brodeln. Ich sortierte fünf Schälchen aus einer Pappschachtel aufs Tablett, und Elephteria stellte eine getriebene silberfarbige Zuckerschale dazu. Keine Milch.
Auf den Betten saßen wir und lächelten einander an.
Elephteria griff zum Stickrahmen. Jede Arbeit brachte sie ihrem Ziel näher: nach Hause. Ihre Stickereien schickte sie zum Verkauf nach Griechenland.
Am Fließband in der Fabrik waren wir alle gleich. Zogen die lindgrünen Kittel über die Studentin, die Mutter, über Ehefrau,
Tochter, Griechin oder Deutsche. Egal, ob glücklich, unglücklich, krank, gesund, alt oder jung. Wir waren Arbeitskraft.
Wie lebten unsere griechischen Kolleginnen ohne den Kittel?
Kleidung waschen, Briefe schreiben, Frisuren probieren, Musik hören.
Ob sie denn niemals ausgingen?
Sie seien ja erst seit März in Deutschland, und es sei viel zu kalt gewesen zum Spazierengehen. Jetzt im Sommer gingen sie gern an den Rhein. Aber da sei es nicht sicher.
»Alle Männer egal. Alle sagen nur fickofacko.«
Elpida brachte dieses Wort so selbstverständlich hervor, als sagte sie Guten Tag, und Lore verschluckte sich am Kaffee.
»Na kommt, gehn wir. Gemeinsam sind wir stark!« Lore stellte die Tasse zurück, zeigte auf die feinen Pantoffeln. »Andere Schuhe müsst ihr euch aber anziehen!«
Lore in der Mitte gingen Elpida und Elephteria voran, ihre langen roten Röcke schwangen in der Nachmittagssonne. Nestoria in Jeans und gestreiftem Pulli folgte nur zögernd, schien auf Abstand bedacht. Gleich von ihrem ersten Monatslohn habe sie sich diese deutschen Sachen gekauft. Ohne ihren lindgrünen Kittel war mir Nestoria fremd, geheimnisvoll. Was hatte sie, kaum älter als ich, ans Fließband bei Maternus verschlagen? Wie das wohl wäre, wenn ich in einer griechischen Kleinstadt vom Pillenpacken leben müsste?
»An den Rhein?«, fragte ich Nestoria, die achselzuckend nickte.
Wir gingen langsam, und als wir den Uferweg erreichten und die drei Frauen rheinabwärts gehen sahen, schauten wir uns an, lachten und gingen stromauf. Schweigend noch immer, ein gelassenes freundliches Schweigen, neugierig und behutsam zugleich. Weshalb war Nestoria hier? Welche Geschichte ging in Jeans und Streifenpulli neben mir, steckte in dieser unscheinbaren Person mit dem kurzgeschnittenen schwarzen Haar, den klaren Zügen mit der etwas großen Nase und den forschenden grauen Augen?
»Wollen wir uns nicht ein bisschen setzen?«, fragte ich.
Nestoria nickte. »Danke.«
»Danke?«
»Danke, dass du ganze Satz sprichst. Nicht sprichst wie mit Idiot!«
Ich musste lachen. Hatte nie verstanden, warum viele Deutsche alle Grammatik vergessen zu haben scheinen, wenn sie mit Ausländern reden. »Du sprichst aber schon sehr gut! Alle Achtung!«
»Alle Achtung!«, wiederholte Nestoria erfreut. »Ich lerne, viel ich kann. Volkshochschule Düsseldorf. Sag aber nicht den anderen.«
»Warum denn nicht?« Machte Nestoria deswegen bei Maternus den Mund kaum auf?
»Verstehen mich nicht. Denken, ich verrate Heimat.«
»Nestoria, sag doch mal: Warum bist du hier?«
Nestoria seufzte und schwieg. Ich wollte schon sagen, es tue mir leid, wollte aufstehen und gehen, Eis essen, eine Cola trinken, von Maternus erzählen, da richtete Nestoria sich auf.
»Ich kann nicht zurück«, sagte sie leise wie zu sich selbst.
Bei Maternus hatte ich ein paarmal den Namen Lambrakis aus den Unterhaltungen der griechischen Kolleginnen aufgeschnappt. Die Bilder des Politikers waren um die ganze Welt gegangen bis in den Dondorfer Fernseher; den ersten Friedensmarsch hatte er organisiert und, als der verboten wurde, war er allein losmarschiert, geschützt nur durch seine Immunität. Wenig später hatte man ihn mit einem Lastwagen überrollt.
»Lambrakis?«, sagte ich leise.
Nestoria drückte beide Fäuste auf die Oberschenkel, richtete sich noch höher auf. Erzählte, stockend und immer wieder von Tränen unterbrochen, wie sie sich aufgemacht hatte mit anderen jungen Leuten aus ihrer Stadt nach Athen und die Polizei die Menschen auseinandergetrieben hatte, noch bevor sie sich hätten zusammentun können. Kaum weiterreden konnte sie, als sie von seinem
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