Aufbruch - Roman
schwarz-weißen Schuhen, der romantischen Locke, im frischen Duft von Pinien und Zitronen. Aus dem Hausmeisterverschlag roch es nach ungewaschener Haut und zu lang getragener Kleidung. Die beigebraune Popelinhose glänzte auf den Oberschenkeln speckig.
»Block drei, Zimmer vier. Dat Nestoria is ja auch en lecker Mädsche. Fahrräder hier abstellen.«
Der Hausmeister wies uns einen Unterstand. »Abschließen braucht ihr nit. Hier kommt nix weg.«
Die Hausordnung funktionierte. Die Wege zwischen den Häusern sauber geharkt, ohne einen Grashalm, keine Papierchen, keine Kippen. Wie auf dem Kirchhof vor Allerheiligen. Die Fenster der Baracken, schmale Klappen unterm Dach, standen offen. Musik aus aller Herren Länder vermischte sich in der Sommerluft.
»Warum sitzen die denn nit draußen?«, fragte Lore. »Platz jenug hätten die doch, wo hier keine Autos fahren.«
»Hast du nicht gelesen?«, gab ich zurück. »Das Heraustragen von Einrichtungsgegenständen aller Art ist verboten. Hausordnung.«
»Ach so, na jut. Jehn mir rein.«
Aus dem zweiten Block kamen uns die Kolleginnen schon entgegen.
»Wenigstens rausgehen dürfen sie«, murrte Lore.
»Ja«, sagte ich »aber nur zu Besuch. Besuch empfangen oder hinausbringen oder sich gegenseitig besuchen. Sonst ist der Aufenthalt im Freien innerhalb des Lagergeländes auch verboten. Hausordnung.«
»Mannomann«, knurrte Lore, ehe wir von Elpida, vor allem aber von Elephteria, so lange laut und ausführlich begrüßt wurden, bis auch aus der letzten Tür die Frauen neugierig zu uns hersahen.
»Euer Hochwohlgeboren«, dröhnte Elephteria und ergriff meine Hand.
»Stets zu Diensten«, brachte Elpida heraus, und Nestoria steuerte »Ergebenste Grüße« bei.
Lore sah mich verdutzt an: »Wollen die uns op dr Arm nehmen? Wo haben die dat dann her?«
Ich lachte: »Nestoria, hör mal. Wo habt ihr das gelernt?«
»Elephteria hat so gesagt. Hat es vom Vater. Von Zettel. Lange her. Ich weiß, ist Quatsch. Aber Elephteria sagt so.« Nestoria zog die Augenbrauen hoch und zuckte die Achseln.
Lore hakte Elephteria unter: »Dann zeigt uns mal, wo ihr wohnt.«
Durch die offene Tür an der Stirnseite der Baracke betraten wir einen engen fensterlosen Flur, Tür an Tür. Eine klinkte Elpida auf. Im Raum Platz für vier schmale Betten; mühelos konnte ein großer Mensch mit ausgestrecktem Arm die Decke erreichen. Wände, Fußboden, Decke aus Holz, ein einziger Resonanzboden. Was immer geschah, hier oder in den Nachbarzimmern, jeden Schritt, jedes Wort, jedes Räuspern musste man hören, kein Entrinnen. Die schmalen Klappfenster zu hoch, um hinauszuschauen. Zwei Betten unter den beiden Luken, zwei neben der Tür. Zu jedem Bett gehörte ein schmaler Spind. Darauf der Koffer, der, laut Hausordnung, abgeschlossen sein musste, »zu allen Tages- und Nachtzeiten«. Das Bett kostete drei Mark pro Nacht. Frisches Bettzeug alle zwei Wochen. Putzen mussten die Frauen selbst. Auch Flur und Küche. Der Hausmeister teilte ein.
Auf dem Regal über den Betten war Platz für persönliche Dinge, alle vom Hausmeister einzeln genehmigt. Stoffpuppen in griechischer Tracht, die Ikone des heiligen Johannes des Täufers, ein Vierfarbdruck der Jungfrau Maria mit Kind. Nur Nestoria hatte auf Erinnerungen verzichtet. Ihr Regal war leer bis auf eine Dose Nivea Creme und ein Wörterbuch.
Bilder an den Wänden: verboten. Klebstoff, Heftzwecken oder gar Nägel beschädigten das Holz.
Lore sah sich suchend um.
»Nix Stuhl, nix Tisch.«
Elephteria hob bedauernd die Hände. »Hier sitzen.« Sie klopfte auf ihr Bett, zog die bestickte Decke weg, darunter lag eine buntgewebte, wie auf den anderen Betten.
Aus den Nebenzimmern sang es spanisch, italienisch mit Gitarren, Geigen, Schlagzeug. Ich folgte Elephteria in die Küche. Die Luft schwer von Gerüchen nach heißem Öl und Gewürzen, fremdartig, bitter, süß und dick, dass man meinte, hineinbeißen zu können. Ein Spülbecken gab es und vier Elektrokocher mit je zwei Platten. Im Schrank darunter Töpfe, Pfannen. Ein schmaler Tisch mit grauer Resopalplatte, Plastikhocker für sechs Personen. Im Wandschrank Teller und Tassen. Eine Schublade fürs Besteck. Hinter Vorhängeschlössern Spinde für die Vorräte.
»Kein Kühlschrank?«, fragte ich.
»Weg«, sagte Elephteria achselzuckend. Sie machte eine Greifbewegung, schob die Hand hinter den Rücken. Weg.
»Klauen?«, sagte ich. Sie nickte. »Du musst Deutsch lernen, Elephteria«, sagte ich. »Dann bist du
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