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Aufbruch - Roman

Aufbruch - Roman

Titel: Aufbruch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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Plastikverschalung prallte, bis die süße, südliche Sonne sanft und lispellos im Osten aufstieg und im Westen sank.
    Erst dann wagte ich mich ins Haus, in die Küche, wo die Mutter kaum vom Bügelbrett aufsah, als ich, »Kuck mal, Mama«, sie über einen Stapel frischer Wäsche anlächelte.
    »Wat jibet denn da ze jrinse«, sagte sie und griff nach einem Kittel, dessen Affen und Giraffen schon gewaltig Farbe gelassen hatten. »Isch hätt mir besser noch ne Kittel bestellt beim Maria.«
    Auch sonst schien im Dorf kaum jemand Notiz zu nehmen von meiner neuen Schönheit, die ich grinsend und beifallheischend erst in der Bäckerei Haase, Süß’ Eisdiele und am Büdchen zur Schau stellte. Sogar in Wirsings Apotheke, wo ich breitmäulig nach Seuxaprein, Ceiphaxein, Kreitapein fragte, frei erfunden, damit ich nicht Gefahr lief, sie kaufen zu müssen.
    Erst die Tante, der ich auf der Suche nach Publikum am Leichenhäuschen begegnete, blieb an meinem festgefrorenen Grinsen hängen: »Jonge, Jong, du häs dir aber heut schön die Zähn jeputzt.«
    Das klappte mir den Mund wieder zu. Waren die schneeweißen Rechtecke womöglich eine Fehlinvestition?

    Zu Hause lag ein Brief für mich, den die Mutter mir wortlos zuschob. Absender: Henkel Werke. Das Preisrätsel, ich hatte es fast vergessen. Das goldene Persil-Paket. Zehntausend Mark.
    Im Holzstall riss ich den Umschlag auf. Eine Karte: »Sie haben gewonnen. Das goldene Persil-Paket.« So stand es auf der Vorderseite. Erhabene Goldprägung. Rechts unten: »Bitte wenden!« Das tat ich und las: »Abzuholen bei Johann Pieper. Rathausmarkt.« Bei Johann Pieper? Ich rannte los.
    »Ja, Hilla, du auch!«, lachte Veronika. »Du bist heute schon die achte oder neunte. Ich wusste jar nit, dat du bei so wat auch mittust.«
    Veronika wies neben das Heringsfass in der Ecke, wo eine stattliche Waschpulverpyramide aufgetürmt war. Verlegen händigte ich ihr die Karte aus und schnappte mein Paket.
    »Ja, nun lach doch auch mal«, mischte sich nun Helga, Veronikas Schwester, ein. »Is doch bares Jeld. Son Paket reischt mindestens für fünfzisch Wäschen.«
    Jetzt oder nie! Ich umarmte mein Gold-Persil und fletschte die Zähne.
    »Nein, kuck mal, wie schön dat Heldejaad lachen kann.« Die alte Frau Pieper hatte ihren Laden durch die Hintertür betreten. »Da jeht ja förmlich die Sonne auf. Dat sind Zähne. Weiß, weißer jeht’s nischt.«
    Dankbar fletschte ich Frau Pieper noch einmal an und machte mich davon.
    »Kuck mal, Mama. Für dich.« Ich stellte das Paket neben den Wäschekorb.
    »Wo has de dat denn her?«
    »Gewonnen«, sagte ich. »Für disch. Da!« Ich nahm das Paket noch einmal auf, drückte es der Mutter in die Arme und lächelte sie an.
    »Nun, zeisch mal«, sagte sie versöhnlich.
    Bereitwillig öffnete ich den Mund.
    »Hätt et wehjetan?«, fragte sie, die Augen zusammenkneifend.

    »Überhaupt nicht!« Ich machte den Mund endgültig zu und schwor mir, in Zukunft so zu tun, als wären die großen weißen Plastikschneidezähne eine Gabe Gottes. Im Hildegard-Kolleg würde ich sie lächelnd zur Bewährung stellen.

    Unsere Nachbarin, die alte Frau Schönenbach, war gestorben. Der Sohn hatte den Betrieb in kurzer Zeit heruntergewirtschaftet. Zuerst hatte er den behinderten Bruder in einem Heim untergebracht, dann die alte Hanna entlassen müssen, und schließlich war seine Frau mit den Kindern wieder zu ihren Eltern gezogen. Dem großen vornehmen Haus waren die Bewohner ausgegangen, wie einem Menschen die Luft. Der Betrieb musste verkauft werden.
    Die Obstbäume wurden gefällt, die Schafe verschenkt, Hühner und Gänse geschlachtet, gegessen. Die Treibhäuser wüste Trümmerberge aus geborstenen Steinen, Glassplittern, verbogenen, rostigen Eisenstangen. Bulldozer waren dabei, die Komposthaufen abzutragen.
    Die Mutter verfolgte das Treiben auf dem Nachbargrundstück mit Befriedigung und konnte vom Fortschritt des Abbruchs nicht genug kriegen.
    Nur die beiden Katzen ließen sich weder verkaufen noch verschenken noch vertreiben. Der unglückliche Erbe hatte sie in eine bescheidene Wohnung nach Strauberg mitgenommen. Nach Abzug der Hypothek war nicht viel vom Verkauf des Hauses übriggeblieben. Er suchte Arbeit in verschiedenen Gärtnereien, aber niemand wollte ihn. Sogar die Katzen kehrten ihm den Rücken, strichen nach einigen Tagen wieder ums Gärtnerhaus, und hätte die Mutter sie nicht ein paar Tage in unseren Schuppen gesperrt, der erboste Verfolger hätte ihnen die Hälse

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