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Aufbruch - Roman

Aufbruch - Roman

Titel: Aufbruch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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umgedreht.

    Den Futternapf der Mutter akzeptierten sie, strolchten in ihrer gewohnten Umgebung umher, störten niemanden, fraßen wenig, legten nur von Zeit zu Zeit, wenn ihre Mägen nichts mehr fassen konnten, eine Maus auf die Küchentreppe. Seltener einen Vogel, was die Mutter dann am Wert ihrer Barmherzigkeit lautstark zweifeln ließ, worauf die Großmutter schadenfroh mit der gottgewollten Natur der Tierwelt konterte.
    Doch erst, als die Mutter merkte, dass es der Großmutter zuwider war, wenn ihr die samtigen Geschöpfe um die Beine strichen, ihr miauend einen Guss Milch abzuschmeicheln versuchten, erst, als sie die Großmutter bei einem unwirschen Zur-Seite-Schieben des Peterchens erwischte, erst da, argwöhnte ich, schloss sie die Tiere ins Herz und stellte sie unter ihren persönlichen Schutz. In Peter und Paul, Namen, die die Katzen schon mitbrachten, fand die Mutter zwei Geschöpfe, die ihr untertan waren. Sie konnte für sie sorgen - aber sie konnte es auch lassen.
     
    Es war ein heißer Tag, Ende September. »Su en Sünd un Schand«, knurrte die Großmutter. »Mir sin doch nit mehr im Kriesch!«, und brach noch früher als gewöhnlich zum Kartoffelschälen ins Krankenhaus auf.
    Ein Großkonzern hatte die Gärtnerei gekauft. In den Feldern am Möhnebusch sollte ein Versuchsgut entstehen, auf dem Gelände der Gärtnerei ein Hochhaus. Fünfzehn Stockwerke, nur durch die eine schmale Straße von unserem Häuschen getrennt.
    Der Bagger rollte heran, bog von der Asphaltstraße ab und schwankte durch den Schutt der Stallungen und Treibhäuser, die schon Tage zuvor von Spitzhacken niedergemacht worden waren, Schönenbachs Haus entgegen. Roter Backstein, Fenster und Türen von helleren Steinen eingefasst, schlichter Schmuck, sichtbar nur im Winter. Jetzt stand das Haus im Sommerkleid, vorn bis unters Dach von Bougainvillea umrankt, die Seiten deckte wilder Wein in vollem Laub, das sich hier und da schon in frühes Rot verfärbte.

    Ohne seine Gardinen und Vorhänge sah das Haus wie geblendet aus. Als hätte man ihm mit dem Entfernen von Spitzen und Damast, vor allem aber der prachtvollen Pflanzen in ihren golden schimmernden Gefäßen das Augenlicht geraubt.
    Gestern hatte ich am Abend ein letztes Mal vor dem Blumenfenster gestanden, ein gläserner Alkoven bis hoch in den ersten Stock. Früher hatten Kirchgänger sonntags sogar einen Umweg in Kauf genommen, um die exotischen Gewächse zu bestaunen, deren Blütenpracht durch immer neue bunte Vögel und allerlei Kleingetier märchenhaft verrätselt wurde. Die Flora war echt, die Fauna zweifellos ausgestopft. Was auch für die heimische Tierwelt galt. Das Eichhörnchen saß wider alle Natur neben der Orchidee, der Dompfaff auf dem Kaktus, die Feldmaus im Granatapfelbaum. Oft hatten auch wir vor dem Fenster mit dem Großvater haltgemacht auf unserem Heimweg vom Rhein, und er hatte erzählt, was er von den Pflanzen und Tieren wusste. Nur selten stimmte das mit dem Biologiebuch überein. Die Fledermaus, so der Großvater, habe im Schlaf ihr r und l und ein e verloren. Kunststück, wenn sie mit dem Kopf nach unten schlief. Gesucht habe sie danach, Tag und Nacht, aber nur das l wiedergefunden und in der Eile an die falsche Stelle gesetzt. Und was war dann aus ihr geworden? Eine Feldmaus! Und die Fledermäuse können seither wegen der beiden Buchstabenlöcher nur noch torkelnd fliegen und trauen sich nur des Nachts heraus, weil sie sich schämen.
    Trostlos sah das Fenster aus ohne seine Schätze. Wer weiß wo waren die Pflanzen geblieben. Die ausgestopften Tiere lagen eines Morgens im Schutt. Bertram hatte einige gerettet. Unter meinem Tisch im Holzstall hielten sich ein Iltis, ein Marder, ein Kakadu auf. Drinnen würde die Mutter diesen Driss nicht dulden.
    Ich hatte den Anblick des leeren Fensters nicht lange ertragen. Um die schwarze, spiegelnde Höhlung rankten sich die abgeblühten Rispen der Bougainvillea, die gefiederten Äste setzten schon zu neuen Trieben an, Leben arglos und voller
Zuversicht. Dieses menschenfreundliche Haus, diese Gärten, Wege, Beete, Treibhäuser, würden einfach dem Erdboden gleichgemacht werden, zubetoniert bis hoch in den Himmel. Seit der Nacht auf der Lichtung war ich nun zum zweiten Mal froh, dass der Großvater nicht mehr da war.
    Dirigiert von zwei Arbeitern, war der Bagger nach einigem Hin und Her in Stellung gegangen. Wo sonst die Schaufel saß, um Erde, Sand, Kies von einer Stelle zur anderen zu befördern, hing an einem Stahlseil

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