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Aufbruch - Roman

Aufbruch - Roman

Titel: Aufbruch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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immer mehr Römer hierher. Und aus dem Ubierort wurde eine kleine Stadt. Der Wall wurde durch eine Mauer mit Türmen und Toren ersetzt, und die Leute, die hier wohnten, nannten sich zu Ehren der Kaiserin: Agrippinenser. Und weil es hier schon seit längerer Zeit einen Altar für die römischen Götter gab, bekam die Stadt den Namen Colonia Claudia Ara Agrippinensium. Das heißt?« Bertram gab mir einen Rippenstoß.

    »Kolonie des Claudius und Opferstätte der Agrippinenser. Und aus diesem Bandwurm machte man dann Colonia, sprich: Köln.«
    »Korrekt!«, lobte der Bruder. »Und Hohe Straße und Schildergasse war die Hauptachse dieser Colonia.«
    Wir hatten den Dom erreicht und stiegen die Treppe zur Terrasse hinauf. Bertram sah sich suchend um. »Da«, sagte er und deutete auf einen steinernen Torbogen, »das ist ein Seitenteil des Nordtores, das zur Römerzeit hier gestanden hat. Auf der Tafel da unten an der Treppe kannst du sehen, wie die ganze Anlage mit allen Toren und Türmen einmal ausgesehen hat. Hier war die Stadt schon wieder zu Ende. Wir haben gerade das gesamte römische Köln durchquert.«
    »Aber im Rhing haben die sich doch auch schon die Füße gekühlt, was meinst du? Im Rhenus.«
    Es gefiel mir, dem Bruder zuzuhören, der vertrauten Stimme mit den vertrauenswürdigen Tatsachen.
    »Und ob«, erwiderte der, »die hatten ja auch in Deutz noch ein Kastell. Op dr schäl Sick. Sogar eine Brücke haben die dort über den Rhein gebaut. Unglaublich, was die konnten. Als die Brücke zerstört wurde, hat es fast tausendfünfhundert Jahre gedauert, bis Köln wieder eine feste Brücke bekam. Und dann die Wasserleitung aus der Eifel! Beinah hundert Kilometer lang! Und dann die …«
    Nach und nach ließ ich Bertrams Stimme mit Gesprächsfetzen vorüberschlendernder Passanten ineinanderfließen, mit dem Rauschen von Reifen auf dem Asphalt, Fahrradklingeln, einer Drehorgel, deren Versicherung »isch möösch ze Foß noh Kölle jonn« noch zu hören war, als wir schon das erste Tuten eines Dampfers vernahmen. Und dann stand ich ihm zum ersten Mal Auge in Auge gegenüber: dem kölschen Rhein.
    In Dondorf konnte ich ihn riechen, den Rhein, längst bevor ich ihn sah. An regnerischen Tagen trug der Westwind den Geruch von Algen und Laich, mitunter auch von Diesel, der sich im Herbst mit Kohl und Porree mischte, über den Damm und
die Auen bis an den Kirchberg hinaus. Der Rhein in Dondorf roch nach Abschied und Sehnsucht. Sehnsucht nach Rotterdam, dem Meer.
    Keine Burgen, keine Berge. Rüben statt Reben. An den Ufern Weiden, Pappeln, Schilf, ein Kirchturm, ein Fabrikschornstein von weitem. Unberühmt und unbesungen, heruntergekommen vom Siebengebirge und der großen Stadt Köln: der Dondorfer Rhein. Wer hätte je einen Vers auf Porree-, Kohl- und Rübenfelder gemacht, Pappeln und Kopfweiden, Kribben, Kiesel, Schlick und Mulm gepriesen?
    Nichts braust, nichts dräut, nichts säuselt, bezaubert, betört. Ruhig dehnt sich der Rhein in seinem Bett, beruhigt die Augen, das Herz, die Gedanken. Nichts Besonderes bietet der Dondorfer Rhein, er ist gewöhnlich im besten Sinne des Wortes, das Gewohnte, Bequeme, Angemessene. Ein Rhein für kleine Leute, einer der maßhält, behäbig dahinfließt, mit sich selbst zufrieden, keinen beeindrucken will, kleinbürgerlich, mit naher Verwandtschaft zu schwerer Arbeit. Kein Rhein für Lieder und Schunkelfahrten, kein Hintergrund für Übermut und romantische Abenteuer. Keine wein-, weib- und gesangsselige Gegend, wo die Munterkeit - auch die verkaufte - gedeiht, wo ihm Städtchen wie Rüdesheim, Boppard, St. Goar zu Füßen liegen, alljährliches Ziel der Betriebsausflüge des Vaters. Aber Platz genug, um einmal im Frühjahr über die Stränge zu schlagen, auch das in aller Bescheidenheit, da man ihm Raum lässt bis weit in die Auen hinein.
    Keine Romantik. Keine Dramatik, vielmehr Fleiß und Zielstrebigkeit. Ein bescheidener Strom? Ja. Bescheiden und zum Bescheiden verlockend; ein Ort für Frauen in Kitteln und Schürzen und für Männer im Blaumann, die hier, wo sie der vertraute Geruch nach Maschinenöl und Lauge wieder einholt, ihren steifen Sonntagsstaat spazierentragen.
    Nichts, was am Dondorfer Rhein den Blick gebannt, gefesselt hätte. Wer hier Schönheit suchte, musste genau hinsehen. Gründlich. Sich hinabbeugen zu den Herzkapselsamen des
Zittergrases, dem Strahlenkopf des Löwenzahns, zu den Klöppeln der Glockenblume, der Schnute vom Knabenkraut. Nichts für schnelle, über

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