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Aufbruch - Roman

Aufbruch - Roman

Titel: Aufbruch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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Teichen, Wiesen und Parks, in den sonnendurchglühten Garderoben schöner Jahrhundertwendefrauen, die ganze Sommerwärme der Bilder schien von den Seiten in die Wangen des Bruders zu steigen.
    »Gefällt es dir?«
    Bertram nickte, schluckte, sein Adamsapfel hüpfte die magere Jungenkehle hinauf und hinunter. Erst vor kurzem hatte er mir in unseren abendlichen Gesprächen gestanden, dass er Kunstgeschichte studieren wolle. Oder Malen.
    »Schenk ich dir.«

    »Mir?« Bertram ließ das Buch beinah fallen. Er griff danach, ich griff danach, und dann hielten wir uns umarmt, wie seit langer Zeit nicht mehr, nicht mehr seit Kindertagen, unseren Märchenspielen. Brüderchen und Schwesterchen. Lagen uns in den Armen, zwischen uns das Buch. Die Anerkennung für besondere Leistung.
    Bertram wandte sich zum Gehen.
    »Wart mal, hier ist noch was! Ein Kästchen von Godehard.«
    »Welcher edle Stein darf’s denn diesmal sein?« Wie übermütig der Bruder aussehen konnte. Etwas geschenkt kriegen, einfach so, ohne Weihnachten oder Namenstag; ich wusste, wie gut das tat.
    »Ist so leicht!« Ich wog das Kästchen in der Hand.
    »Vielleicht ein Luftstein?«, spottete Bertram.
    »Duftstein!«
    »Lichtstein!«
    »Nichtstein!«
    So war’s. In dem Kästchen lag auf lila Samt eine Armbanduhr. Groschengroß, golden, schwarzes Krokoarmband.
    »Mannomann«, kommentierte Bertram. »Der lässt sich nicht lumpen! Wann ist denn Verlobung? Was wirst du denn so rot?«
    Ich war überwältigt. Und doch nicht froh. Das hier ging über Bücher und Steine hinaus. Die Uhr wollte getragen werden, gezeigt werden, öffentlich sein, wenn auch nur wir beide und nun Bertram um ihre Herkunft wussten. »Heiraten darf man schon ab sechzehn«, hörte ich Godehards Stimme. Auch Rudi hatte Hanni zur Verlobung eine Uhr geschenkt, allerdings ganz aus Gold, und auch Maria, ihre Schwester, hatte ihre Verlobungsuhr getragen, noch im Krankenhaus, nach der schweren Operation, bis der Bräutigam die Verbindung gelöst hatte: Nicht zuzumuten sei nem Mann eine Frau mit nur einer Brust, hatten die Dondorfer Frauen verständnisvoll genickt. Andererseits: Ich konnte die Uhr gebrauchen. Die Kommunionuhr vom Patenonkel stand auf ihren siebzehn Steinen schon seit Jahren still.

    »Was soll ich denn der Mama sagen, wie ich an die Uhr gekommen bin?«, stupste ich Bertram, der von unserem Buch hochschreckte.
    »Äh«, nachdenklich zog der Bruder die Nase kraus, »hier«, er gab mir das Buch zurück. »Das zeigst du ihr und dazu die Uhr. Anerkennung für besondere Leistung. Was glaubst du, wie die kuckt.«
    Das tat sie. Einen flüchtigen Blick warf sie auf das Buch, den Eintrag. Aber die Uhr. Tanten, Cousinen, Nachbarinnen wurde die Trophäe präsentiert: Dat Kenk konnte es durch Liere 22 zu was bringen.
    »Et süht ja us wie en Verlobungsührsche.« Nachbarin Julchen drehte und wendete die Uhr in ihren kräftigen Fingern, als könne sie noch männliche Fingerabdrücke entdecken: »Has de die wirklisch nur für et Liere jekriescht?«
    Und ihre Schwester ergänzte missgünstig: »Et es doch nur en Uhr. Verlobt bes de deshalb noch lang nit!«

    Hatte Monika mich mit Godehard gesehen? Sie sagte nichts. Aber ich spürte, dass sie mich beobachtete. Kurze Zeit hatte es geschienen, wir könnten Freundinnen werden. Doch Monika merkte schnell, dass ich mich für Caesar, Goethe und Schiller, notgedrungen sogar für Sinus und Cosinus mehr interessierte als für Kleider und Knilche, unser Wort für Jungen. Und seit der Party bei Clas hielt sie mich endgültig für eine trübe Tasse. Auch Anke sah ich nur im Klassenzimmer. Sie ging in der Sorge um ihre nervenkranke Mutter auf, war froh, dass sie in der Schule mitkam.
    Blieb Astrid. Ein drahtiges, unscheinbares Mädchen mit aschblonden, dünnen Haaren und einem zupackenden Unterkiefer,
der nach Nüssen und anderen harten Dingen zu gieren schien. Ich mochte sie nicht. Ich erkannte an ihr die Zeichen der kleinen Leute. Die penibel gebügelten Blusen, die blau, rot, grün aufeinanderfolgten wie die Wochentage, mal in einen hellen, mal in einen dunklen Rock gestopft. Im Winter mit einer braunen Wolljacke. Selbstgestrickt, auf den ersten Blick. Die gewienerten Schnürschuhe, immer akkurat besohlt; der sorgsam geplättete Mantelsaum, der dennoch die mehrfache Verlängerung nicht leugnen konnte. Je abgetragener ihre Kleider, je rissiger ihre Nägel, desto schroffer äußerte sie ihre Ansichten, egal, ob es um eine mathematische Formel, den gestrigen Film

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