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Aufbruch - Roman

Aufbruch - Roman

Titel: Aufbruch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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das alles, was dir dazu einfällt?«
    Entsetzt wie ein Kind, dem man droht, sein Meerschweinchen zu verspeisen, sah er mich an. Seine hellen Augen so aufrichtig verstört, dass ich den Spruch, den ich schon auf der Zunge hatte - worüber man nicht malen kann, dahinein soll man schlitzen! -, seinem bettelnden Blick zuliebe verschluckte. Stattdessen faselte ich etwas von der Kunst als Kehrseite der Kunst, variierte seine Ausführungen aus dem Stadt-Anzeiger , brachte Sinnentleerung und Sinnzerstörung in Wallung und schloss »Die Blume der Kunst blüht unterm Messer am schönsten«, was der grauhaarige Pagenkopf, mir dankbar zunickend, notierte.
    Endlich schaute Godehard auf die Uhr. »Jetzt müsste er da sein«, murmelte er. Ich blickte ihn fragend an. Hatte er das Taxi hierherbestellt?
    »Der Chauffeur«, erklärte er. »Mein Vater braucht ihn nicht. Die Mutter auch nicht. Komm, kleine Hilla.« An der Kasse kaufte er mir noch einen Katalog. »Du lernst doch so gern.«
    Draußen wartete ein Wagen, wie ich in Dondorf noch keinen gesehen hatte. Nicht einmal der von Maternus, dem Pillenfabrikanten, kam diesem hier gleich. Es war kein Mercedes, den hätte sogar ich erkannt, Kunststück - der Stern. Am ehesten glich
das Gefährt den Wagen, denen Lords und Earls in englischen Kriminalfilmen entsteigen. Doch nicht etwa ein Rolls-Royce?
    Godehard schaute ein wenig verlegen. »Bis ich den mal fahre, hat’s noch ein bisschen Zeit«, versuchte er zu scherzen, »meiner tut’s auch, was meinst du?«
    Der Chauffeur, in einem graumelierten Anzug, wie ihn der Vater nicht einmal sonntags trug, blickte mit gesenktem Kopf zu Godehard auf, zog die Kappe und riss die Wagentür auf. »Einen guten Tag, Herr van Keuken. Einen guten Tag, Fräulein Palm.« Ein schneller Blick musterte mich von Kopf bis Fuß, ich glaubte darin Einverständnis, doch auch ein vages, ungläubiges Erstaunen zu erkennen.
    Noch ehe ich Zeit hatte, über sein Erstaunen zu erstaunen und mich zu wundern, woher er meinen Namen wusste, saßen wir schon, vielmehr hatten wir Platz genommen, in einen Rolls-Royce rutscht man nicht mal so einfach rein. Auch dass, wer vornehm sitzt, nicht etwa vorn sitzt, sondern hinten, Rücksitz, hatte ich kapiert, die Hintersten werden die Vordersten sein, so ähnlich steht es ja schon in der Bibel.
    »Musik, wie immer?«, fragte der Chauffeur dezent und tonlos wie der Motor, wie der Wagen, diwanweich, und am liebsten hätte ich Godehard in die Rippen gestupst, mir eine Federboa um den Hals geworfen, eine Zigarette in eine silberne Spitze gesteckt und mit verruchter Stimme ein verruchtes Lied gesungen. Vor uns in Haltern Flaschen. Ein goldglänzend gefasster Klapptisch, Zigarren und Zigaretten, Pralinen, Gebäck, eine Keuken-Kollektion.
    »Bertram«, seufzte ich unhörbar, mit ihm hätte ich all das spielen und genießen können.
    Die Musik, irgendetwas von Chopin, erklärte Godehard, füllte das Wageninnere wie in einem Konzertsaal. Dazu der Geruch. Nicht nach Dingen wie Leder oder Holz - das Armaturenbrett schimmerte wie dunkler Bernstein -, der Geruch tat wesenlosere Eigenschaften kund, meinte Fertigsein, Sichersein, Reichsein, Fernsein, entrückt.

    Ich ließ mich zurücksinken. Sollte Godehard von geschlitzten Säcken schwärmen, was ging das mich an. Ich, Hilla Palm, hielt Händchen mit einem Jungen, nein, einem Mann, einem richtigen und liebevollen Mann, hörte Chopin und saß in einem Rolls-Royce.
    Und dann wieder im Bus. Vor den Augen der Wartenden hatte der Chauffeur mir die Tür aufgerissen, und ich stieg aus, nein, ich entstieg - mit geschlossenen Beinen hinauszuschwingen hatte sich die Dame -, der Chauffeur ergriff meinen Ellenbogen, gut, dass ich vorher gelesen hatte, dass der Herr die Dame unterstützt, sonst hätte ich ihn womöglich abgeschüttelt, er zog die Kappe und reichte mir die Tasche. Und ich dem Schaffner meine Schülermonatskarte.
    Auch diese Prüfung hatte ich bestanden.
     
    Bertram pfiff durch die Zähne, als ich ihm abends berichtete, jede Einzelheit interessierte ihn. »Pass auf, wenn du das nächste Mal wieder mitfährst. Besonders innen.«
    »Ach, Bertram«, seufzte ich.
    »Das wär was, du im Rolls-Royce durch Dondorf und dann in die Altstraße 2. Junge, Junge.«
    Gott sei Dank hatte der Chauffeur kurz vor Riesdorf über Funk einen Auftrag bekommen, der ihn nach Köln zurückrief.
    »Somnia dulcia, fratercule. Omnia insana sunt!« 21

    War es aber nicht. Godehard meinte es ernst.
    Beinah Tag für Tag

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