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Aufbruch - Roman

Aufbruch - Roman

Titel: Aufbruch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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ging es gleich weiter in einen großen Raum oder kleinen Saal, jedenfalls in ein Zimmer, größer als jedes, das ich aus Privathäusern kannte. Offenbar hatte man im Erdgeschoss Wände entfernt und ein paar Stützbalken aus rauchgeschwärztem Holz eingezogen.
    Die Partygäste drängten sich uns entgegen, eingehüllt in eine Wolke aus Zigaretten, Rasierwasser, Deo, Parfüm. Alle redeten durcheinander, die weiter hinten reckten die Köpfe nach uns,
bis Godehard den Arm hob und »Ruhe, still jetzt!« gezischelt wurde.
    »Fräulein Hildegard Elisabeth Maria Palm«, stellte Godehard mich vor, »ihr dürft aber Hilla sagen«, und ich schüttelte Hände, schmale, breite, kräftig und labbrig, trocken und feucht, lächelte mit geschlossenen Lippen und kam mir wie die Königin von England vor. Nur dass die sich nicht mit jedem Händedruck verlegener fühlte. Doch die anderen schienen genauso froh wie ich, als die Zeremonie vorbei war, verteilten sich rasch im Saal, wo an der Wand auf langen Tischen - jawohl, die weißen Tischdecken hingen gemäß Dr. Oheim bis fast auf den Boden hinunter - Schüsseln, Geschirr, Besteck, Gläser und ein Bowlegefäß standen. Ein Kellner, zwei Serviermädchen.
    Im vorderen Teil des Raumes gab es hohe, runde Tische, darauf Aschenbecher und Zigaretten, Roth-Händle, Gitanes, Senoussi, HB. »Bei einer Cocktail-Party müssen genügend Tabakwaren und die dazugehörenden Aschenbecher bereitgestellt werden.« Am liebsten hätte ich ein paar Päckchen für Friedel eingesteckt, die mir vor Jahren mit dem Lexikon eine so große Freude gemacht hatte. Eine Fläche hinter den Tischen war freigeräumt; sicher würde dort getanzt werden. Irgendwo wurden Witze erzählt, ab und zu Gelächter.
    Fast ehrerbietig füllte eines der Serviermädchen mein Glas. »Diese Bowle musst du unbedingt probieren«, drängte Godehard, »hab ich selbst gemischt. Die süßen Früchte essen wir später.« Er schnappte nach meinem Ohrläppchen. »Wie schön du dir deine Haare gemacht hast. Und wie ich mich schon darauf freue, die Nadeln rauszuziehen.«
    Das konnte er gleich haben. In Erwartung seiner Eltern hatte ich mein Haar kunstvoll zu einem seriösen Turm drapiert. Mit ein paar Handgriffen waren die Nadeln draußen, ich schüttelte die Strähnen über die Schulter. »Besser so?«
    Godehard schien enttäuscht. »Hätt ich gern selbst gemacht.« Er fuhr mir ins Haar, packte meinen Nacken und drückte spielerisch zu. »Komm, wir schauen mal, was da los ist.«

    Vor dem Plattenspieler - » Summertime , Ella Fitzgerald«, sagte Godehard - stritt ein Grüppchen um die nächste Runde. Die vorletzte der zehn LPs war gerade nach unten gefallen.
    Ein Pärchen, das Mädchen in einem rosa Kleid, bleistifteng und wie meines mit Bolero, der junge Mann wie Godehard in Anzug und feingestreiftem Hemd mit schmaler Seidenstrickkrawatte, hielt sich locker um die Hüften gefasst, in der freien Hand Martinis, seiner mit einer Olive, ihrer mit einer Maraschino-Kirsche. »Marokkaner-Kirsch« nannte die Tante die kandierte Frucht, die sie aus der Kochsendung mit Clemens Wilmenrod kannte. Auch die beiden wollten weiter Jazz hören. Namen wie Louis Armstrong, Bessie Smith, Count Basie und Miles Davis wurden ausgerufen wie Hauptgewinne.
    Eine zweite kleinere Gruppe scharte sich um einen Mann, den Godehard mir als seinen Vetter vorstellte, Student der Ökonomie an der London School of Economics. Alles an ihm war exakt, bis auf drei Stellen hinterm Komma genau: der Haarschnitt, der geknöpfte Kragen, die Fliege. Aber die Schuhe. Sie verrieten, dass in Markus Moigenbruchs Kopf mehr vorging als Gewinn und Verlust, Steuern und Rückstellungen. Sozusagen auf Schritt und Tritt verrieten sie seine Sehnsucht, aus der Reihe zu tanzen in diesen Schuhen aus dunkellila Leder mit gelben lochgestanzten, grüngesteppten Einsätzen auf Spann und Ferse, purpurnen Schnürriemen und spitz, zum Aufspießen spitz, die dünnen Enden, leicht schnabelförmig nach oben gebogen, so bewegte sich der Ökonomiestudent durchs Leben. Zumindest in seiner Freizeit. Ich konnte meinen Blick von diesen Schuhen - sie mussten ein Vermögen gekostet haben - nicht lösen. Erst recht nicht, als ich entdeckte, dass in den lilagelben Schuhen rosa Socken steckten. Moigenbruch schwenkte eine LP in ihrer Papphülle. Aus sonderbar verdrehter Perspektive schauten vier lachende Jungenköpfe mit Kindergarten-Topffrisur in Anzug und Krawatte über eine Art Treppengeländer wie aus einer Kiste: The Beatles

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