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Aufbruch - Roman

Aufbruch - Roman

Titel: Aufbruch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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alle«. Ich wollte alles - für mich - den Himmel und die Engel, Spatzen und Zuckerschoten. In diesem, in meinem Leben.
     
    Kurz darauf lud mich Astrid wieder zu sich nach Hause ein. Gerade seien neue Bücher gekommen, lockte sie, Carl Zuckmayers Die Fastnachtsbeichte und Stendhals Die Kartause von Parma . »Und Heine kann ich dir wieder vorlesen.« Mein Herz klopfte bis in die Zungenspitze, als ich ihr kalt in die bittenden Augen sah. »Du kannst mir die Bücher gerne mitbringen. Ich lese sie lieber allein.«
    Am nächsten Tag steckte sie mir einen Zeitungsartikel zu und lachte mich mit breit gebleckten Zähnen an. Ich schlug die Doppelseite auseinander. Auf dem ganzseitigen Photo strahlte ein Mädchen, etwa neun, zehn Jahre alt, in die Kamera. Mit Zähnen, die schief durcheinanderstanden. Darunter, fett: »So müssen Zähne heute nicht mehr aussehen.« Und klein darunter: »Helfen auch Sie Ihrem Kind in eine unbeschwerte strahlende Zukunft.« Auf dem Bild daneben trug das Kind eine Zahnspange. Korrekt faltete ich das Papier zusammen und bedankte mich. Da konnte ich doch nur lachen.
    Ich besuchte Astrid nie wieder. Ihr Gesicht im Wutstein fletschte einen zahnlosen Gaumen.

    Godehard war zurück. Mit einer Kette aus bunten Steinen, die er mir bei unserem Wiedersehenskuss um den Hals legte. Glatt, kalt, schwer ließen mich die Steine keinen Augenblick vergessen, dass ich sie trug. »Meine kleine Frau«, sagte er dabei und küsste mein Handgelenk über der Uhr.

    Mein Besuch bei ihm zu Hause stand bevor. Beim Buchhändler lagen jetzt immer öfter Päckchen, die keine Bücher enthielten. »Schön sein muss auch die kluge Frau.« Einen beigen Schal, mit rotblauen Schuhen bedruckt, fand ich, reine Seide, sagte das Etikett am Saum; eine Puderdose, silbern mit Perlmutteinlage für die Handtasche; ein Fläschchen, nein, Flakon, Ma Griffe; einen Lippenstift von Helena Rubinstein. Das letzte, das größte Paket überreichte er mir selbst.
    »Du sollst schön sein, kleine Hilla.« Godehards Augen hatten einen sonderbaren weichen Glanz, so sah die Großmutter aus auf dem Weg zur Kommunionbank. »Schöner als alle anderen. Das hier habe ich für dich ausgesucht. Sag nichts. Probier es zu Hause an. Du wirst aussehen wie eine Prinzessin. Meine Prinzessin.«
    Ich bugsierte das Paket in Bus und Bahn nach Hause, schlich mich, nach allen Seiten spähend, in den Holzstall, verstaute das Ding unterm Tisch bei den Schachteln mit den Steinen. Wartete, bis die Luft im Haus rein war. Vor dem dreiteiligen Spiegel im Schlafzimmer der Eltern probierte ich es an. Ein grünschwarz changierendes, knisterndes Kleid zog ich aus knisterndem Seidenpapier, Cocktail-Kleid nannte man so etwas, eng und ausgeschnitten vorne und hinten, aber mit einem Bolero. Wie sehr hatte ich Doris, meine feine blonde Freundin von der Realschule, damals um so ein Jäckchen beneidet.
    Das seidigglatte Futteral saß wie eine zweite Haut. Ich war in eine andere Haut geschlüpft. Godehards Haut. Kleider machen Leute? Und ob! Aus Hilla Palm, Kenk vun nem Prolete, machte dieses Kleid … Ja, was eigentlich? Ich holte meine weißen Pumps aus dem Schrank. Stellte ein Bein vor, legte den Kopf schief, lächelte mich an: meine kleine Hilla. Stemmte die Hand mit der Uhr am Gelenk in die Hüfte und nickte mir zu: meine Prinzessin. Legte mir die Steine um den Hals, zog das Jäckchen über und sah mir tief in die Augen: meine kleine Frau.
    Prüfung bestanden. Frau. Prinzessin. Meine Kleine. Passten die Worte zu mir? Wie oft hatte ich derlei schon gelesen. Aber wollte ich das auch leben?

    Den Bruder weihte ich ein. Für die Mutter machte ich das Kleid zu einer Spende von Monika; zu eng geworden, ze spack. Sie lade mich zu ihrem Geburtstag ein. Würde es spät, könne ich bei ihr übernachten.
    Das aber hatte ich nicht vor. Den letzten Zug von Köln nach Großenfeld kurz nach zehn könnte ich bequem erreichen.
    »Wie Aschenputtel«, lachte ich, als ich Godehard am Samstagnachmittag auf dem Bahnhof entgegenlief, unterm Popelinmantel von Cousine Hanni das herrliche Kleid.
    »Den ziehen wir gleich aus«, schloss mich Godehard in die Arme. »Komm, alle sind schon gespannt auf dich.«
    Wind vom Rhein fuhr mir unter den Mantel, zerrte ihn auseinander. »Alle? Ich denke, wir fahren zu deinen Eltern?«
    »Zu meinen Eltern? Nein. Die sind gar nicht zu Hause. Du kommst zu mir. Aber wenn du willst, kann ich dir das Haus zeigen.«
    »Aber … Ich dachte … Deine Eltern …«
    »Ein anderes Mal,

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