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Aufbruch - Roman

Aufbruch - Roman

Titel: Aufbruch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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entsprochen. Letzteres ist besonders bedauerlich. Sie kommen eben aus keinem guten Stall. Da hilft auch die Grammatik nicht, wie man sieht. Anbei der Lohn für zwei Doppelstunden, abzüglich zweimal Mittagessen.
    Sibylle Wagenstein
    Zwei Doppelstunden hätten zwölf Mark ergeben müssen. Frau Direktor hatte mir sieben Mark abgezogen. Ich knüllte den Fünf-Mark-Schein mit dem Brief zusammen. Aus keinem guten Stall. Die Wörter hatten sich schon nach dem ersten Zusammentreffen in mein Hirn gebrannt. Jetzt tat es mir leid, dass ich Rebmann - und mir - die Sache so leicht gemacht hatte, dass ich ihn - und mich - mit diesem Schuldgeständnis abgespeist hatte. Und ich begriff, dass es oft leichter ist, eine Schuld zu gestehen, als sich mit Motiven, Antrieben und Ursachen der Tat auseinanderzusetzen.
    Sich schuldig sprechen, das war beinah wie sich freisprechen. Es sorgte für klare Verhältnisse. Man musste nicht weiter nachdenken. Musste büßen, vielleicht, aber vielleicht nicht einmal das, oft genügte auch dem Kläger die Anerkenntnis der Schuld, bestätigte, bekräftigte dessen moralische Überlegenheit, es war wie in der Kirche, mea culpa, mea culpa, mea maxima culpa, sogar im Himmel herrschte angeblich mehr Freude über einen Sünder, der Buße tut, als über neunundneunzig Gerechte. Der Buße tut. Ich wollte keine Buße tun. Ich holte den Brief und die Banknote aus der Jackentasche, strich sie glatt, steckte das Geld ins Portemonnaie, setzte mich auf eine Bank und las den Brief noch einmal, fühlte, wie sich mein Gesicht zu einer Grimasse verzerrte, die Lippen sich öffneten bei zusammengebissenen Zähnen.
Ich zwang die Lippen über die Zähne zurück, löste den Unter- vom Oberkiefer, ließ den Unterkiefer hängen bei offenem Mund, wie es alte Leute tun, die dem Leben schon lange genug die Zähne gezeigt haben. Und dann brach es aus mir heraus, Lachkraft aus Brustkorb und Rachen, prustend, schallend, herausgekitzelte Naturgewalt.
    Noch einmal knüllte ich den Brief zusammen, hatte die Hand schon nach dem Papierkorb ausgestreckt, wollte ihn loswerden, die Bosheit loswerden, die Erniedrigung loswerden, wie meine Schuld, als ließen sich die Wörter loswerden, wenn ich das Papier, das Knäuel loslassen würde, Müll zu Müll. Das Glaubensbekenntnis ratterte durch meinen Kopf: Er wird wiederkommen, in Herrlichkeit, Gericht zu halten über Lebende und Tote, und seines Reiches wird kein Ende sein. Das Lachen war mir vergangen.
    Ich glättete den Brief zum zweiten Mal und verstaute ihn im Lehrbuch der Mathematik für die höheren Lehranstalten , dem Buch, das ich hasste. Von dort würde ich ihn hervorholen, wann immer man glaubte, mir beibringen zu müssen, aus welchem Stall ich kam. Aus keinem guten Stall. Ich nahm den Lachstein in die Hand. Blickte ihm ins Punkt-Punkt-Komma-Strich-Gesicht. Meine Lippen glitten noch einmal seitwärts auseinander, Unterund Oberkiefer lösten sich voneinander, platzten auseinander, ein Kichern zuerst, dann ein weites, lautes Lachen erlösten mich aus meinem keinen guten Stall. Wie in einem Vexierbild hatten die Wörter ihre herabsetzende Wirkung, ihre verletzende Kraft verloren. Prustend schnappte ich nach Luft, besorgt sah sich eine Frau mit Kinderwagen nach mir um, wirklich, ich kam aus keinem guten Stall, aus dem Holzstall kam ich, ja, und der Holzstall war weiß Gott kein guter Stall oder doch ein guter Stall? Nie hatte ich darüber nachgedacht. War der Holzstall ein guter Stall? Kein guter Stall? Im Holzstall hatte ich, was ich brauchte, einen Tisch, einen Stuhl, Licht. Meine Bücher. Meine Ruhe. Noch immer vor mich hin kichernd entschied ich: Der Holzstall ist ein guter Stall. Hilla Palm kommt aus dem Holzstall.
Also kommt Hilla Palm aus einem guten Stall. Dem besten aller Ställe in der besten aller Welten, Altstraße 2.
    An der Frittenbude beim Ausgang des Parks verlangte ich, was ich mir, anders als die anderen Schüler, von denen der Imbiss lebte, bislang versagt hatte, eine Tüte Pommes frites. Eine große. Mit Mayonnaise, doppelte Portion. Bezahlte mit dem Fünf-Mark-Schein. Steckte das Wechselgeld, als sei es der Rede nicht wert, unbesehen in die Jackentasche. Ging zurück in den Park, in die Ecke mit den Staudenbeeten und Rosenspalieren, und genoss dort die Düfte von Frittenfett und Queen Victoria, großblühend gelb, eine dicke grüne Raupe fraß sich gerade durch eine der Knospen. Kaute und schluckte, kaute und schluckte, aber was ich hätte schlucken sollen, schluckte

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