Aufbruch - Roman
ich nicht. Ich spie es aus. Denen, die es mir zu schlucken geben wollten ins Gesicht. Und schwor meinem Holzstall die Treue.
Rebmann gab die Hefte am nächsten Tag zurück. Meine Arbeit war unbenotet. Sekundenlang überlegte ich, ob ich ihm den Brief der Frau Wagenstein zeigen sollte. Nein, entschied ich. Es würde den Appell, der von diesem Brief an meinen Widerstand, meine Kraft zur Auflehnung ausging, nur schwächen.
Doch ich beantwortete ihn. Gab Alf und Ralf einen dicken Umschlag mit, in Schönschrift an Frau Direktor Sibylle Wagenstein adressiert. Darin, gepolstert mit Zeitungspapier - lauter Todesanzeigen - und kunstvoll eingewickelt in ein Stück Silberpapier aus dem Heidenkinderschatz der Großmutter ein Wiener Würstchen.
Was übrigblieb von den fünf Mark aus meinem Dienstverhältnis in einem guten Stall investierte ich in eine zweite Portion Pommes frites und in Kalidasas Sakuntala , ein Drama aus dem Sanskrit, Reclam. Den Rest reservierte ich für eine Reuekerze im Kölner Dom. Wutstein überflüssig.
Ein paarmal noch begegnete ich Alf und Ralf, sie lächelten mich verschämt-verschüchtert an; dann sah ich sie nicht mehr. Sie seien auf einem Internat in England, hieß es. Dafür sah ich Frau Direktor Sibylle Wagenstein ganz allein an ihres
Gatten Esstisch sitzen. Vor einem Teller Würstchen. Schrumpelig, kalt, von einer bleich-erstarrten Fettschicht überzogen. Aufessen!
Godehard traf ich seltener. Sein Doktorvater war von einer Expedition aus Guatemala zurück und legte Wert auf Anwesenheit, wenn er, privatissime et gratis, seine Doktoranden zu sich nach Hause einlud. Pfingsten, Godehard sah mich an, als erscheine ihm der Heilige Geist, Pfingsten würden wir alles nachholen. Meine kleine Frau, sagte er; nicht mehr so oft wie früher, doch inbrünstiger, beseelter. Ich hörte es ohne Widerstreben, und wenn ich an Frau Wagenstein dachte, an Astrid oder Monika, glaubte ich sogar, mich zu freuen. Monikas Party hatte ich nicht besucht. Seither behielt sie mich misstrauisch im Auge. Bis ich mit dem schuhgemusterten Seidenschal in der Schule erschien. Da vertraute sie mir an, dass sie mit Alex aus der Oberprima vom Ambach-Gymnasium gehe, der Godehards Bruder gut kenne. Man könne sich doch mal zu viert treffen, vielleicht sogar gemeinsam nach Rom.
Doch gemeinsam nach Rom, so Godehard keine zwei Wochen vorher, werde man mit seinen Eltern fahren. Eine Idee der Mutter, mich zwanglos kennenzulernen, und wo geschehe das besser als auf Reisen? Stockend und verlegen brachte Godehard das heraus, und ich wusste nicht, sollte ich froh sein, dass »mein Kapital« nun sozusagen in schwiegerelterlichem Gewahrsam sichergestellt war, oder, wie Godehard, ärgerlich über diese wie selbstverständlich über uns verhängte Bewachung.
Doch in der Woche vor Pfingsten brach Godehards Vater mit einem Herzinfarkt zusammen, jetzt sei er außer Lebensgefahr, »aber man weiß ja nie«, sagte Godehard, »bitte sei mir nicht böse, versteh mich, ich kann die Mutter nicht allein lassen.«
»Schade«, seufzte ich verständnisvoll; zuinnerst dankbar, dass allein mein Schutzengel hörte, wie mir ein Stein vom Herzen fiel.
»Dafür«, fuhr er fort, »komm ich jetzt endlich einmal zu dir nach Dondorf. Wenn meine Eltern schon nicht dich kennenlernen, dann wenigstens ich die deinen.«
»Aber …«, wollte ich gerade zu einer meiner Ausflüchte ansetzen.
»Keine Widerrede«, schnitt mir Godehard ungewöhnlich ernst das Wort ab. »Bitte frag zu Hause, wann es am besten passt. Wir wollen doch, dass der Ring bald offiziell wird.«
Abends zog ich den Bruder ins Vertrauen.
»Da musst du durch.« Bertram knuffte sein Kopfkissen zurecht. »Was soll denn passieren? Der Sigismund war doch auch hier. Die Mama freut sich, wenn du endlich wieder einen mitbringst. Im Rolls-Royce.« Bertram kicherte.
»Ist doch nur ein Karmann-Ghia. Coupé. Und wir sagen, die Eltern haben in Köln ein Schokoladengeschäft. Ist ja auch irgendwie wahr. Dann regt sich die Mama nicht ganz so sehr auf.«
Das tat sie aber doch. Godehard heiße er, studiere Geologie, das sei etwas mit Steinen, nein, mit Bauen habe das nichts zu tun, Edelsteine und so. Seine Eltern hätten in Köln ein Geschäft, Schokolade und Kakao.
»Do hätt he jo jet an de Föß!« Die Mutter war erleichtert. »Kenns de den Laden schon?«
»Is he kattolisch?«, war das Einzige, was die Großmutter interessierte, und ich sagte: »Jawohl. Und ein Vetter sogar Diakon, kurz vor der
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