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Aufbruch - Roman

Aufbruch - Roman

Titel: Aufbruch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulla Hahn
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durchsichtige, lichte Gardinen, die ein weicher Wind zur Seite bauschte, starrte in den Nacken des Mannes, der sich scharfrasiert über meine geschundenen Hände beugte. Als ob man kein Geld brauchte, wenn man vernünftig war, kein Geld brauchte, wenn man wusste, dass man unerfüllbare Wünsche im Konjunktiv II ausdrücken musste. Wenn man wusste, dass solche Wünsche der Form nach mit Bedingungssätzen identisch sind, jedoch keine Schlussfolgerung haben. Hätte ich doch nur Geld! Würde ich doch nur Geld haben. Wenn ich doch nur Geld hätte, dann hätte ich Geld.
     
    Meine Hände heilten rasch. Das Geld verharrte im Konjunktiv. Nicht einmal die Fluchten in die Bücher konnten mich davon ablenken, und der Mutter war ich im Weg wie eine zugelaufene Katze.
    »Wenn de nix Besseres zu tun has, kanns de ja mitjehn«, knurrte sie, »op dr Kass jibet jenuch ze tun.«
    Seit Fräulein Kaasens Tod, deren bescheidenen Haushalt die Mutter besorgt hatte, putzte sie die Krankenkasse.
    Beinah trotzig stand sie vor mir in Faltenrock und Bluse, Hände in die Hüften gestützt, unterm Arm die Einkaufstasche, darin verborgen frischgewaschene Aufnehmer, Staublappen und der Putzkittel.

    Warum eigentlich nicht? Ich schob Carossas Arzt Gion beiseite, ohnehin nicht sehr fesselnd, und sprang auf die Füße. Die Mutter hielt die Tasche vor den Bauch und trat einen Schritt zurück. »Du wills doch nit wirklisch mitjonn?«
    »Doch«, sagte ich und klappte das Buch endgültig zu. Vielleicht würde sich dort etwas für mich ergeben. Für Geld.
    Frau Omlers, Sachbearbeiterin, begegnete uns schon bei der Post; sie hielt sich die Wange und quetschte statt einer Begrüßung »Zahnarzt!« heraus.
    »Isst jo och nix wie Kooche!«, kommentierte die Mutter schadenfroh. »Jeden Tach muss isch von däm Minsch de Koocheteller spülen.«
    Auch die anderen Angestellten packten ihre Sachen zusammen. Manfred Longerich, Anfang zwanzig schon so dick, dass er sich nur schnaufend bewegen konnte; Franz Kötter, kurz vorm Rentenalter, hager, beinah zerbrechlich, mit der gelbgrauen Gesichtsfarbe chronisch Magenkranker. Beide Männer wandelnde Sinnbilder einer Kasse für Kranke. Geleitet wurde die Allgemeine Ortskrankenkasse Dondorf von Hans Werner Finke, der als Mitglied des Schützenvereins, des Kirchenvorstandes und des Männerchores Hammonia zu den Dondorfer Herrschaften zählte, wenn auch nicht zu denen ersten Ranges. Auch Finke war dick, doch zweifellos nährte sich sein Fett von hochwertigeren Grundstoffen, hing ihm nicht schlaff und gedunsen um die Knochen wie dem jungen Longerich, umrundete vielmehr feist und herausfordernd seine Leibesmitte, Embonpoint, mit Weste und Uhrkette. Honoratiorenfett.
    Während der junge dicke und der alte dünne Mann unser Erscheinen als endgültiges Signal für den Aufbruch in den Feierabend nahmen und sich davonmachten, lockerte Finke den Schlipskragen am drallen Hals, lehnte sich in seinem Ledersessel zurück und wünschte uns leutselig einen Guten Tag. Wie ich diesen Tonfall hasste. Und die Mutter dazu, die Finkes Gruß fast mit einem Knicks erwiderte und mit stotternder Schulmädchenstimme, als hätte sie etwas ausgefressen, meine Anwesenheit entschuldigte.

    »Da gibt es doch nichts zu entschuldigen, Maria.« Finkes salbige Stimme klang leicht tadelnd. »Aber du schaffst das hier doch auch allein? Oder?« Das tönte beinah wie ein Verweis, eine Drohung.
    »Ja, sischer schaff isch dat, Herr Finke! Da machen Sie sisch keine Sorjen!« Die Mutter hatte den Kittel schon übergestreift, den Putzlappen in der Hand. »Da, Hilla, nimm du die Körb.«
    Am liebsten hätte ich Finke seine Sehr geehrten, die Pillenreklamen und Ärzteanfragen aus dem Papierkorb über Socken und Sandalen gekippt, die er, ungeachtet seiner gutbürgerlichen Ausstattung überm Tisch, unterm Tisch trug. Doch ich verwandelte die Wut in ein süßes Lächeln, das Finke genau zwischen die Augen traf, wirbelte die Papierfetzen aus den Körben, einen nach dem anderen, in den Mülleimer hinterm Haus, stampfte das Papier zusammen, stampfte den Mann zusammen, der meine Mutter duzte und beim Vornamen nannte wie ein Dienstmädchen - und meine Mutter, die so kniefällig durchs Leben ging, dazu.
    Als ich zurückkam, war Finke weg.
    Ich spülte Frau Olmers Kuchenteller, offensichtlich hatte Linzer Torte ihrem Zahn den Rest gegeben, spülte Gläser und Besteck; wischte unsichtbaren Staub von Schreibmaschinen, Registrierkasse und Topfblumen, während die Mutter mit dem

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