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Aufenthalt in einer kleinen Stadt

Aufenthalt in einer kleinen Stadt

Titel: Aufenthalt in einer kleinen Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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Spiegelei mit Schinken, dazu trank er Milch, Tomaten- und Orangensäfte.
    Der Bankier hatte die ›Basler Nachrichten‹ mitgenommen.
    Darin blätterte er nun, während er auf die Eier und den Milchkaffee wartete, doch legte er die Zeitung mißmutig zurück, mit rotem Gesicht, da ihm unvermutet auf der zweiten Seite eine Überschrift aufgefallen war. Bankrott einer Bank in Yverdon.
    Er ließ sith vom Kellner noch das ›Koniger Tagblatt‹ reichen, das eben der Doppelgänger des Stadtbaumeisters zusammen-gerollt hatte. Hier war der Zusammenbruch der Bank de Schangnau und Le Locle auf der ersten Seite, vom demolierten Heimatmuseum jedoch noch keine Zeile, da das ›Tagblatt‹ am Abend erschien. Der Bankier hatte sein Spiel verloren, und so ergab er sich denn.
    Er machte sich ans Essen. Er aß mit großem Appetit, etwas hastig, da er sich im klaren war, daß dies seine Henkersmahl-zeit bedeutete. Es war sinnlos, noch den Versuch zu machen, von der Direktion des ›Wilhelm Tell‹ Geld zu erlangen, denn sie hatte den Artikel wohl auch gesehen, so daß er, in einem 21

    Anfall von Galgenhumor, auch eine Portion Schinken bestellte, wie sein Nebenmann, und, nachdem er sie verzehrt, von den Zigarren eine Costa Penna wählte, wieder einmal zum letztenmal. So war er bereit, sich zu stellen, ließ das Morgenessen auf die Rechnung schreiben, die er nicht bezahlen konnte, und machte sich auf, im Tweedmantel und in den Urwalddampf seiner Import gehüllt, die Polizei zu suchen.

    22

    Gespräch mit einem Anfänger

    Es war halb elf. Zuerst wandte er sich nach dem Ort seines unfreiwilligen Attentats, er hielt es für angebracht, doch auch zu sehen, was er angerichtet hatte.
    Mit einer gewissen Verblüffung nahm er die Trümmer-massen inmitten der alten Häuser wahr, bestürzt, der Grund einer so großen Verheerung zu sein. Von der Pracht des Stöpsels war nichts mehr vorhanden, die Bombe hatte gründlich aufgeräumt. Auf dem Trümmerhaufen kletterten Polizisten in Zivil umher, frierend und mit geheimnisvollen Untersu-chungen beschäftigt, einige mit langen Stangen, womit sie in den verkohlten Balken stocherten. Andere, in Uniformen, hielten die Koniger zurück, die verwundert auf die Überreste ihres Wahrzeichens starrten: die Männer, die Hände in den Manteltaschen, vom allgemeinen Zorn erfaßt, die Frauen mit Kindern auf den Armen. Schuljugend stand umher in Scharen, verzweifelte Lehrer. Irgendwo Schluchzen, irgendwo Flüche, dumpfes Aufbegehren.
    Der Bankier, der dies unwillkürlich doch ein wenig auf sich bezog, versuchte lieber nicht, die Menschenkette zu durchbre-chen, die ihn vom Ort der Katastrophe fernhielt, sondern ging nach einigen Augenblicken pietätvollen Verweilens die Gasse zurück, durch die er gestern abend, bestrebt, der Feuerwehr-musik zu entweichen, die Bombe in den Armen, geflüchtet war, nun ärgerlich, da er bei einem Unterbruch der Häuserfront einen nahen Fluß bemerkte; hätte er dies gewußt, wäre die Bombe explodiert, ohne Schaden zu stiften, so kam die geo-graphische Erkenntnis zu spät.
    Er gelangte denn auch, wie er erwartet hatte, wieder auf den kleinen Platz, wo ihn gestern abend das Auto abgesetzt hatte; die Häuser siebzehntes, achtzehntes Jahrhundert, er sah seine 23

    Erinnerung bestätigt, auch das Hochhaus erkannte er wieder; daß es nicht zum übrigen paßte, fiel ihm ein zweites Mal auf.
    Der Platz war fast leer, nur ein Verkehrspolizist stand in der Mitte mit weißem Helm und weißem Mantel, nicht ganz ersichtlich wozu; der Bankier fragte ihn nach der Polizeiwa-che. Er hatte nach dem Centralplatz zu gehen.
    Die Altstadt war nach einigen Schritten zu Ende; was ihm während der nächtlichen, rasenden Fahrt großstädtisch ge-schienen hatte, kam ihm nun vor wie ein Kaff mit städtischem Einschlag.
    De Schangnau blieb stehen und schaute die Hauptstraße entlang, die sich leicht senkte. Der Verkehr war der einer kleinen Stadt, viele Bauern, irgendwo war wohl Markt, Arbei-terfrauen, ein katholischer Geistlicher, Schüler, einige mit Mützen, was auf ein Gymnasium hindeutete. Die ersten Zeitungen über das Unglück erschienen, das ›Koniger Tagblatt‹, der ›Expreß‹, der ›Bund‹, und de Schangnau dachte befriedigt, daß jetzt etwas anderes als sein Bankrott zu lesen wäre.
    Ein Trolleybus kam ihm entgegen, vom Bahnhof her, wie er annahm, schwenkte weiter unten ab, bei einem Wegweiser: Zürich, Bern, Lausanne.
    Städtische Bauten, rote Häuser, gelbe, blaue, weiße, Häuser aus Holz,

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