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Aufenthalt in einer kleinen Stadt

Aufenthalt in einer kleinen Stadt

Titel: Aufenthalt in einer kleinen Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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Täterschaft gekommen sein, die Hoteldirektion anzu-pumpen, um mit dem ersten besten Zug aus Konigen zu flüchten. Sich das Frühstück in sein Zimmer kommen zu lassen, genierte er sich, weil das nachfolgende notwendige Gespräch mit der Leitung des ›Wilhelm Tell‹ ihm peinlich war.
    So ging er hinunter, frisch gebadet, doch schritt er vorerst nicht ins Frühstückszimmer, sondern zum Coiffeur; auch dies eine Vorsichtsmaßnahme, wenn er schon Geld auftreiben mußte, wollte er dies so bankierhaft wie nur möglich tun.
    Hundert Franken hoffte er zu erzielen, vielleicht auch hun-dertfünfzig, wenn er die richtigen Ausreden finden und mit der nötigen Selbstverständlichkeit auftreten würde, was ihm jedoch nicht mehr selbstverständlich war. Er hatte vorher, in seinem Leben als Bankier, wo er ja im Grunde auch ohne jeden Rappen gewesen war, mit der größten Leichtigkeit 14

    geborgt, Zehntausende, Hunderttausende von Franken; daß es ihm mit einemmale schwerfiel, stimmte ihn nachdenklich.
    Wenn diese technische Unsicherheit einreißen sollte, war es aus mit ihm.
    Er mußte nach den Angaben des Portiers nur die Straße überqueren. Der Laden befand sich neben der Türe, aus der er gestern abend geflüchtet war. Draußen schien die Sonne, strahlend, vom Ende der Straße her, und der Himmel war vom hellsten Blau, doch war es immer noch kalt, alles schien ihm sibirisch.
    De Schangnau, ohne Mantel, trat rasch ein, vom Geklingel der sich öffnenden Türe begleitet. Der Coiffeur las eben die Zeitung, den ›Express‹, und erhob sich, den Bankier zu bedienen.
    »Rasieren«. De Schangnau setzte sich und bekam ein weißes Tuch um den Hals.
    Sein rundes, verquollenes Gesicht im Spiegel war ihm unangenehm, Auge in Auge mit sich selber zum ersten Mal ekel-haft. Er kam sich geistlos und gemein vor, wie ein richtiger Attentäter. Der Coiffeur dagegen, ein langer Mensch mit feierlichen Bewegungen, sah in seinem Berufsmantel aus wie ein bedeutender Zahnarzt. Ob der Herr von Bern komme, fragte er, Schaum schlagend.
    »Von Yverdon.«
    Aus der Stadt Pestalozzis, stellte der Coiffeur fest.
    »Sehr richtig«, sagte der Bankier. Er antwortete seit Jahren mit ›sehr richtig‹, wenn jemand den Zusammenhang von Yverdon und Pestalozzi wieder einmal feststellte.
    Er habe gedacht, der Herr komme aus Bern, fing der Coiffeur von neuem an, sichtlich enttäuscht, von Bern, von der Untersuchungskommission. Der Herr sehe akkurat wie ein Detektiv aus, die hätten auch so was Geistiges, und seifte de Schangnau ein.
    »Guten Morgen, Herr Stadtbaumeister«, grüßte er dabei mechanisch, »setzen Sie sich, mein Sohn wird Sie bedienen.

    15

    Wilhelm, rasieren.«
    Unter Geklingel war ein Herr eingetreten, hatte seinen Mantel an den Haken gehängt und nahm neben dem Bankier Platz.
    Ihre Blicke begegneten einander im Spiegel. Der Stadtbaumeister war ein kleiner Mann, dick, ohne fett zu sein, mit mächtigen Muskeln, wie man ahnte, fast wie ein Bauer gekleidet, mit einer schweren, silbernen Uhrenkette über dem Bauch.
    Was es denn in Konigen zu untersuchen gebe, und wozu man Detektive brauche, fragte de Schangnau den Coiffeur vorsichtig, der das Messer schliff.
    Der große Stöpsel sei in die Luft geflogen gestern nacht um zehn, antwortete der Coiffeur aufgeregt, nur noch einige Mauerreste und einige verkohlte Balken seien vorhanden, denn nach der Explosion habe der Turm zu brennen begonnen. »Ein wichtiges, man darf sagen, nationales Unglück, was mit unserem lieben Stöpsel, mit unserem alten, guten Stöpsel geschehen ist, nicht wahr, Herr Stadtbaumeister Künzi?«
    wandte er sich halb stolz, halb jammernd zum anderen Gast, den nun sein Sohn bediente, ein blondes, frisiertes Jüngelchen; doch gab Herr Künzi keine Antwort, aus seinen Augenschlit-zen warf er nur hin und wieder einige aufmerksame Blicke auf dem Umweg über den Spiegel zu de Schangnau hinüber, fast drohend, wie der Bankier dachte.
    In den Frühnachrichten im Radio vor dem Morgenturnen (er turne immer), in den Frühnachrichten sei die Meldung auch gekommen, prahlte der glückliche Coiffeur weiter, der seinen Gesprächsstoff gefunden hatte und auch festhielt, nur schade, daß der Sprecher von Beromünster sie im gleichen Tonfall berichtet habe wie irgendeine ausländische Nachricht, etwas Mitgefühl und Trauer wäre gerade diesmal durchaus in Ordnung gewesen bei dieser schweizerischen Katastrophe, das gehe nun einmal das ganze Schweizervolk an, einen Bundesrat so gut wie einen simplen

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