Auferstehung 1. Band
Nechludoff.
Den Weg im Schlitten oder Wagen zurückzulegen, war nicht möglich. Nechludoff ließ das alte Pferd satteln, das er früher auf seinen Spazierritten benutzt, zog seine glänzende Uniform und seinen Offiziersmantel an; dann ritt er auf dem dicken, zu gut genährten Pferde, das fortwährend wieherte, durch Schnee und Schmutz nach der Dorfkirche.
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Diese nächtliche Messe sollte für Nechludoff auf ewig eine der süßesten und stärksten Erinnerungen seines Lebens bilden.
Als er nach langem Ritt im Dunkel endlich den Hof der Kirche betrat, hatte der Gottesdienst schon begonnen.
Die Bauern, die in dem Reiter den Neffen von Marie Iwanowna erkannten, führten ihn an einen trockenen Ort, wo er absteigen konnte, brachten sein Pferd fort und öffneten ihm die Kirchenthür. Die Kirche war schon drückend voll.
Rechts standen die Männer. Die Alten in Jacken, die sie selbst genäht, die Beine mit weißen Leinewandstreifen umwickelt; die jungen in ganz neuen Tuchjacken, mit einer hellen Schleife um die Lenden und großen Stulpstiefeln an den Füßen. Links standen die Frauen, den Kopf mit Seidentüchern bedeckt, in Samtjacken mit roten Aermeln und blauen, grünen, roten Röcken und eisenbeschlagenen Stiefeln an den Füßen. Die ältesten hatten sich bescheiden in den Hintergrund gestellt, mit ihren weißen Kopftüchern und grauen Jackets. Zwischen ihnen und den jungen Frauen standen die Kinder in Feiertagsgewändern.
Die Männer schlugen das Kreuz; die Frauen, besonders die älteren, drückten, während sie eifrig das mit Kerzen umstellte Heiligenbild betrachteten, die gefalteten Finger auf die Stirn, die Schultern und den Bauch, während ihre Lippen fortwährend Gebete murmelten. Die Kinder folgten dem Beispiel der großen Personen, undbeteten eifrig, besonders, wenn sich die Blicke der Eltern auf sie richteten.
Nechludoff trat in die Kirche. In der Mitte stand die Aristokratie. Da war ein Gutsbesitzer mit seiner Frau und seinem Sohn im Matrosenanzug, der Stanowoj, der Telegraphist, ein Kaufmann in hohen Stulpstiefeln, der Starost mit seiner Medaille und rechts vom Pult hinter der Frau des Gutsbesitzers Matrena Pawlowna, die ein Kleid mit auffallenden Farben und einen gestreiften Shawl trug. Neben ihr stand Katuscha in weißem Kleide mit plissiertem Mieder. Ein blauer Gürtel schnürte ihre Taille ein und Nechludoff sah, daß, sie in ihren schwarzen Haaren eine rote Schleife trug.
Alles sah festlich, feierlich, fröhlich und schön aus; der Priester mit seinem silbernen Chorhemd mit aufgenähtem Goldkreuz, der Diakon und der Meßner mit ihren gold- und silberbestickten Stolen, die fröhlichen Gesänge der Chorknaben, die Art, wie der Priester jeden Augenblick eine Kerze erhob, um die Anwesenden zu segnen und wie alle von Zeit zu Zeit wiederholten: »Christ ist erstanden! Christ ist erstanden!« Was war alles schön, doch noch weit schöner war Katuscha mit ihrem weißen Kleide und ihrem blauen Gürtel, und ihrer roten Schleife in den schwarzen Haaren.
Ohne daß er sich umzuwenden brauchte, fühlte Nechludoff, daß sie ihn sah. Er ging ganz nahe an ihr vorbei, als er auf den Altar zuschritt. Er hatte ihr nichts zu sagen, sagte aber doch, als er an ihr vorbeikam:
»Meine Tante läßt Ihnen sagen, daß erst nach der zweiten Messe zu Abend gespeist wird.«
Katuscha strömte das Blut ins Gesicht und ihre Augen blieben mit glücklichem Lächeln auf ihm haften.
»Ich weiß,« erwiderte sie.
In diesem Augenblick kam der Meßner, der zum Gabeneinsammeln durch die Menge schritt, an Katuscha vorüber und streifte sie, ohne sie zu sehen, mit seiner Stola. Doch Nechludoff sah bestürzt, daß dieser Meßner nicht begriff, daß alles, was in der Kirche, was in der Welt geschah, nur für Katuscha geschah, daß sie allein nicht unbemerkt bleiben durfte, daß sie der Mittelpunkt des Weltalls war. Für sie glänzte das Gold des Heiligenbildes, für sie brannten die Kerzen des Kronleuchters, für sie erhoben sich diese fröhlichen Gesänge: »Freuteuch, ihr Menschen!« Alles Gute und Schöne auf Erden war nur für sie bestimmt; und Katuscha mußte das zweifellos auch begreifen. Das empfand Nechludoff, als er die anmutigen Formen des jungen Mädchens in dem weißen Kleide und dies von ernster Freude verklärte Gesicht erblickte, dessen Ausdruck ihm verriet, daß es in ihr ebenso jubelte, wie in ihm.
Schon war die Nacht heller geworden, doch die Sonne zeigte sich noch nicht. Die Menge, die die Kirche verließ, strömte
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